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Schweiz will Atommüll-Endlager nahe deutscher Grenze bauen

Das schweizerische Kernkraftwerk Leibstadt nebst Kühlturm. Foto: Alexandra Wey/Keystone/dpa
Das schweizerische Kernkraftwerk Leibstadt nebst Kühlturm. Foto: Alexandra Wey/Keystone/dpa

Dass das Schweizer Atommüll-Endlager an der deutschen Grenze stehen soll, war schon klar. Nun ist auch bekannt, wo genau. Die Entscheidung sorgt für Kritik.

Bern (dpa) – Die Schweiz will ihr Endlager für Atommüll wenige Kilometer südlich der baden-württembergischen Gemeinde Hohentengen bauen. Das teilte der Sprecher der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra), Patrick Studer, mit. Zur Auswahl standen noch zwei weitere Standorte, die ebenfalls sehr nah an der deutschen Grenze liegen.

Das Bundesumweltministerium bezeichnete die Entscheidung der Schweiz als Belastung für die betroffenen Gemeinden. Die grenznahe Lage „stellt sowohl in der Errichtungsphase als auch beim Betrieb des Endlagers für diese und umliegende Gemeinden eine große Belastung dar“, sagte Christian Kühn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium und Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg, in Berlin auf Anfrage. „Ich setze mich bei der Schweiz dafür ein, dass die bisherige gute Einbindung der deutschen Nachbarn fortgesetzt wird.“ In Deutschland steht die Entscheidung für einen eigenen Endlager-Standort für hoch radioaktiven Atommüll frühestens 2031 an.

Die ausgewählte Schweizer Region Nördlich Lägern liegt teilweise in Sichtweite von Ortschaften im baden-württembergischen Hohentengen. Dort sollen die Abfälle in mehreren hundert Metern Tiefe in Opalinuston eingebettet werden. „Die benötigte Einschlusszeit beträgt bei hochaktiven Abfällen etwa 200.000 Jahre und bei schwach-​ und mittelaktiven Abfällen rund 30.000 Jahre“, heißt es auf der Webseite der Nagra.

Konkret geht es um etwa 9300 Kubikmeter hoch radioaktive Abfälle und 72.000 Kubikmeter schwach-​ und mittelradioaktive Abfälle. Sie stammen aus den einst fünf Schweizer Atomkraftwerken sowie aus Medizin und Industrie. Vier Atomkraftwerke laufen noch. Sie sollen nicht ersetzt, dürfen aber betrieben werden, so lange ihre Sicherheit gewährleistet ist. Das kann bis in die 2040er Jahre gehen.

Bürgermeister pocht auf mehr Informationen

Der Bürgermeister von Hohentengen, Martin Benz, will den Entscheidungsträgern sehr genau „auf den Zahn fühlen“, wie er der Deutschen Presse-Agentur sagte. „Sie müssen sehr gut begründen, warum ein zurückgestellter Standort plötzlich zum präferierten Standort wird“, sagte er. Die Grenze ist dort teilweise nur wenige hundert Meter entfernt. Den Bewohnern sei klar, dass der radioaktive Müll vorhanden ist und entsorgt werden muss, sagte Benz. Auch sie seien für die Lagerung am sichersten Ort. „Aber diese Fragen müssen beantwortet werden: Was gibt es für Störfallszenarien und wie ist man darauf vorbereitet?“

Die sozialdemokratische Schweizer Politikerin Astrid Andermatt sprach von einer schockierenden Vorstellung. Sie engagierte sich jahrelang in dem Verein „Nördlich Lägern ohne Tiefenlager“. „Die Nagra hat offenbar mitten im Verfahren die Kriterien anders gewertet“, sagte Andermatt der Zeitung „Der Landbote“. „Das wirkt unseriös.“

Sorge um Trinkwasserversorgung

Die deutschen Gemeinden in Grenznähe beschäftigt vor allem die Frage der Trinkwasserversorgung. „Wir haben überall Trinkwasserbrunnen, wir haben Aare und Rhein in der Nähe. Die Frage nach dem Trinkwasserschutz ist eine große Sorge der Bevölkerung“, sagt Martin Steinebrunner von der Deutschen Koordinationsstelle Schweizer Tiefenlager (DKST) beim Regionalverband Hochrhein-Bodensee.

Unklar ist noch, wo die Verpackung zur Endlagerung stattfinden soll. Derzeit liegen die Abfälle in einem Zwischenlager für atomare Abfälle in Würenlingen rund 15 Kilometer südlich der deutschen Gemeinde Waldshut-Tiengen.

Die Nagra will bis 2024 ein Baugesuch einreichen. Danach entscheidet die Regierung über die Bewilligung, das Parlament muss den Beschluss genehmigen. Darüber kann in der Schweiz aber eine Volksabstimmung durchgesetzt werden. Die würde voraussichtlich nicht vor 2031 stattfinden. Wird der Beschluss nicht abgelehnt, beginnt dann der Bau. Die mehrjährige Einlagerung begänne etwa 2050. Das Lager würde dann über einige Jahrzehnte beobachtet. Etwa 2125 soll es endgültig versiegelt und die Bauten an der Oberfläche abgebaut werden.

© dpa-infocom, dpa:220910-99-707362/8

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