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Insel-Disput: Baerbock streitet mit türkischem Außenminister

Von Griechenland in die Türkei: Außenministerin Baerbock hat beide Länder besucht. Die Treffen blieben nicht ohne Konflikte. Foto: Annette Riedl/dpa
Von Griechenland in die Türkei: Außenministerin Baerbock hat beide Länder besucht. Die Treffen blieben nicht ohne Konflikte. Foto: Annette Riedl/dpa

Es ist ein ungewöhnlicher Antrittsbesuch Baerbocks in der Türkei: Zum Auftakt zofft sie sich in Istanbul mit dem türkischen Außenminister. Dann geht es weiter nach Ankara – zu Gesprächen mit der Opposition.

Ankara (dpa) – Am zweiten Tag ihres Türkei-Besuchs hat Außenministerin Annalena Baerbock nach einem offenen Streit mit ihrem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu Vertreter der Opposition getroffen. In der Hauptstadt Ankara kam sie am Samstag mit führenden Politikern der größten Oppositionspartei CHP, der pro-kurdischen HDP und der nationalkonservativem Iyi-Partei zusammen.

Ihr einziges Treffen mit einem Regierungsvertreter hatte die Grünen-Politikerin am Freitag nicht in der Hauptstadt, sondern in der Bosporus-Metropole Istanbul. Dort wurde die gemeinsame Pressekonferenz mit Cavusoglu zur offenen Konfrontation über die erwartete türkische Offensive in Nordsyrien, die Inhaftierung des Oppositionellen Osman Kavala in der Türkei und vor allem über den Insel-Streit zwischen Griechenland und der Türkei.

Baerbock stellt sich an die Seite Griechenlands

Baerbock hatte zuvor Athen besucht und sich dort im Streit um griechische Inseln wie Rhodos, Kos und Lesbos im östlichen Mittelmeer klar an die Seite Griechenlands gestellt. Die türkische Regierung stellt die Souveränität Athens über diese Inseln infrage und fordert den Abzug aller griechischen Truppen.

Cavusoglu warf Deutschland vor, Partei zu ergreifen und kein Vermittler mehr zu sein, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) es gewesen sei. „Frau Merkel hat das getan. Um die Wahrheit zu sagen war Deutschland in dieser Zeit ein ehrlicher Vermittler. Es war ausgewogen. Deutschlands Politik war ausgewogen“, sagte Cavusoglu. Das sei nun nicht mehr der Fall. Drittländer wie Deutschland „dürfen sich nicht auf Provokationen und Propaganda, vor allem aus Griechenland und dem griechischen Teil Zyperns, einlassen“.

Auch beim Thema Syrien gerieten die beiden aneinander. Baerbock warnte Cavusoglu vor einer neuen Offensive in dem Nachbarland. Ankara will dort die von der Regierung als Terrororganisation angesehene Kurdenmiliz YPG bekämpfen. Cavusoglu sagte, es handele sich um Kampf gegen den Terror und nicht um eine Militäroperation.

Besonders verärgert reagierte der türkische Außenminister auf Kritik Baerbocks an der Inhaftierung des türkischen Kulturförderers Osman Kavala. Die Grünen-Politikerin betonte, dass man Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) achten müsse. „Dazu gehört für mich auch die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angeordnete Freilassung von Osman Kavala“, sagte sie. Cavusoglu reagierte erbost und warf Deutschland vor, Kavala gegen die Türkei zu benutzen und ihn zu finanzieren. Kavala war im April im Zusammenhang mit den Gezi-Protesten 2013 zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Er sitzt seit 2017 im Gefängnis.

Bei der Opposition kam Baerbocks Haltung gut an. „Direkte Aussagen und Konfrontation sind manchmal unausweichlich, nicht nur erforderlich“, sagte der Co-Vorsitzende der HDP nach einem Gespräch mit Baerbock. Cavusoglu spreche bei solchen Treffen immer eine sehr klare Sprache. Dies sei nun das erste Mal, dass sein deutsches Gegenüber sich auch so klar verhalten habe. „Das war in Ordnung.“

In Ankara besuchte Baerbock zunächst das Mausoleum für Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk und legte dort einen Kranz nieder. Das ist obligatorisch bei einem Antrittsbesuch. Anschließend traf sie die drei Oppositionsvertreter. Beobachter gehen davon aus, dass sechs Oppositionsparteien sich zu einem Bündnis zusammenschließen und einen gemeinsamen Kandidaten für die im Juni 2023 geplanten Wahlen aufstellen. Dann werden gleichzeitig Parlament und Präsident neu gewählt.

Umfragewerte Erdogans zuletzt gesunken

Die Opposition hofft, dann Präsident Recep Tayyip Erdogan abzulösen, der seit fast 20 Jahren an der Macht ist. Die Umfragewerte Erdogans und seiner islamisch-konservativen Regierungspartei AKP waren zuletzt gesunken. Laut einer Erhebung des Instituts Metropoll hätte die AKP bei Wahlen in diesem Juni die absolute Mehrheit im aktuellen Bündnis mit der ultranationalistischen Partei MHP verfehlt. Auch Erdogans Beliebtheit sinkt. In einer vor zwei Tagen veröffentlichen Metropoll-Umfrage waren rund 54 Prozent der Befragten der Meinung, dass Erdogan keinen guten Job als Präsident macht. Bestimmendes Thema in der Türkei ist zurzeit die schwächelnde Wirtschaft mit einer massiven Inflation von offiziell rund 80 Prozent.

Die Opposition in der Türkei steht seit Jahren massiv unter Druck. Der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP etwa droht ein Verbot. Der ehemalige Parteivorsitzende Selahattin Demirtas sitzt seit 2016 wegen Terrorvorwürfen im Gefängnis, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2020 die Freilassung des Politikers angeordnet hatte.

© dpa-infocom, dpa:220729-99-196644/12


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