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Mehr Impfgelegenheiten für Kinder – Weiter Streit um Stiko

Mehr als 900.000 Kinder zwischen 12 und 17 wurden mindestens einmal geimpft. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa
Mehr als 900.000 Kinder zwischen 12 und 17 wurden mindestens einmal geimpft. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Angesichts steigender Corona-Infektionszahlen sollen Impfungen mehr Schwung bekommen – auch bei bisher nicht geschützten Kindern. Pläne für zusätzliche freiwillige Angebote bleiben aber stark umstritten.

Berlin (dpa) – Kinder und Jugendliche sollen auch mit Blick auf den Schulbeginn nach den Ferien bundesweit leichter an Corona-Impfungen kommen können.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn verteidigte Pläne von Bund und Ländern, nun auch in Impfzentren auf breiterer Front Impfungen für 12- bis 17-Jährige anzubieten, wie es in Arztpraxen schon möglich ist. Es gehe um ein leichter verfügbares Angebot, weil genügend Impfstoff da sei, sich zu schützen, sagte der CDU-Politiker im rbb-Inforadio. „Wer will, kann sich impfen lassen – keiner muss.“ Die Pläne stoßen aber weiter auch auf scharfe Kritik.

Proteste von Ärztevertretern

Mehrere Ärztevertreter protestierten gegen die Beschlüsse, ohne dass die Ständige Impfkommission (Stiko) bisher allgemein zu Impfungen von Kindern rät. Der Vorsitzende des Hausärzteverbands, Ulrich Weigeldt, warnte vor Verunsicherung. „Warum eine Empfehlung der Stiko dazu zunächst nicht abgewartet werden kann, die sich auf Basis von fundierten Studien zeitnah äußern will, ist mir schleierhaft“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank-Ulrich Montgomery, sagte bei RTL/ntv: „Was die Politik jetzt macht, ist Wahlkampfgetöse.“ So sei eine unabhängige, herausragend arbeitende Kommission in Nöte gebracht worden.

Die Stiko empfiehlt Impfungen bei Kindern vorerst nur bei höherem Risiko für schwere Corona-Verläufe etwa wegen Erkrankungen wie Diabetes – Impfungen sind laut Stiko aber mit ärztlicher Aufklärung und als individuelle Entscheidung von Kindern und Eltern möglich. Die Impfstoffe von Biontech und Moderna sind ab 12 Jahren zugelassen.

Spahn verteidigte die geplanten zusätzlichen Impfgelegenheiten. „Es geht ausdrücklich nicht darum, Druck zu machen, den machen wir auch nicht.“ Wenn Eltern und Kinder sagten, dass sie noch auf mehr Daten warten wollten, sei das auch okay und kein Problem. Er wandte sich dagegen, einen Gegensatz zu konstruieren – der Beschluss von Bund und Ländern sei „durchaus im Einklang mit der Stiko“. Es seien auch schon mehr als 900.000 Kinder zwischen 12 und 17 mindestens einmal geimpft worden, dies entspreche etwa 20 Prozent in der Altersgruppe.

Spahn sagte, er könne sich nur wünschen, dass möglichst viele Familien sich dies nun überlegten. Angesichts der ansteckenderen Delta-Virusvariante gelte generell: „Entweder man wird infiziert ohne Impfschutz, oder man hat den Impfschutz.“

Der Vorsitzende der Sächsischen Impfkommission, Thomas Grünewald, befürwortete eine Corona-Impfung für Kinder ab 12 Jahren. „Der individuelle Nutzen für ein Kind ist deutlich größer als der Schaden oder die Probleme, die eine Impfung anrichten kann“, sagte er der Leipziger Volkszeitung. Grundlage seien neue Daten aus Ländern wie den USA oder Israel, wo seit langem auch ab 12 Jahren geimpft wird.

So sieht es in den Bundesländern aus

Mehrere Bundesländer bereiten mehr Impfangebote für Kinder vor, teils laufen sie auch schon. In Nordrhein-Westfalen gebe es Angebote für Kinder ab 12 seit rund zwei Wochen in Praxen und Impfzentren, sagte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) im WDR. Dabei gebe es die „strenge Vorgabe“ zu einer individuellen Vorab-Beratung. In den Impfzentren würden Zeiten für Eltern mit Kindern angeboten.

Auch Berlin setzt vor allem auf Impfzentren und niedergelassene Ärzte. Impfungen direkt in Schulen seien „relativ schwer zu organisieren“, sagte Gesundheitsstaatssekretär Martin Matz. Denn bei Unter-16-Jährigen müsse beim ärztlichen Beratungsgespräch ein Elternteil dabei sein.

In Hessen können sich 12- bis 17-Jährige in einigen Impfzentren schon impfen lassen. „Das soll bald in allen möglich sein“, erklärte die Landesregierung. Nötig seien ein ärztliches Aufklärungsgespräch und eine Begleitung oder mindestens Zustimmung der Sorgeberechtigten. Kinder-, Jugend- und Hausärzte böten ebenfalls Impfungen an. In Thüringen gab es in Impfzentren bereits sogenannte Familienimpftage. „Das wollen wir wiederholen“, sagte eine Ministeriumssprecherin.

In Niedersachsen werden Kinder ab 12 Jahren mit Einverständnis der Eltern und ärztlicher Beratung schon seit Mitte Juli in 36 der 50 Impfzentren geimpft. Laut Gesundheitsministerium sind bereits 28 Prozent aller 12- bis 17-jährigen mindestens ein Mal geimpft.

Mecklenburg-Vorpommern hingegen will erst nach einer konkreten Empfehlung der Stiko seine Impfangebote für 12- bis 17-Jährige ausweiten. Nach den Beschlüssen der Gesundheitsminister ändere sich an der gängigen Impfpraxis im Nordosten zunächst nichts, sagte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD).

FDP-Chef Christian Lindner sagte dem „Südkurier“, er halte ein „niedrigschwelliges, schnell zu erreichendes Impfangebot für Kinder und Jugendliche“ für richtig. „Es muss sich aber um ein Angebot handeln“. SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas sagte der dpa: „Die Impfung schützt Jugendliche vor einer Erkrankung und ist ein wichtiger Baustein dafür, ihnen wieder mehr Normalität zu ermöglichen.“

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, die Städte stünden bereit, Kindern ab 12 Jahren Impfungen zu ermöglichen. Sowohl Impfzentren als auch mobile Teams könnten das.

Auffrischungs-Impfungen ab September

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz begrüßte derweil die ab September vorgesehenen Auffrischungs-Impfungen für Risikogruppen. „Insbesondere bei den 900.000 Pflegeheimbewohnern liegt die zweite Impfung bereits ein halbes Jahr zurück“, sagte Vorstand Eugen Brysch der dpa. Es sei gut, dort erneut auf aufsuchende Impfungen zu setzen, es fehle aber noch ein verbindlicher Zeitplan.

Anders als zu Jahresbeginn dürften die mobilen Impfteams auch die fast 200.000 Menschen im betreuten Wohnen von Anfang an nicht vergessen.

© dpa-infocom, dpa:210803-99-675004/11

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