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Reitverband nach Vorwürfen gegen Beerbaum in der Bredouille

Wehrt sich gegen die Vorwürfe der Tierquälerei: Ludger Beerbaum. Foto: Friso Gentsch/dpa
Wehrt sich gegen die Vorwürfe der Tierquälerei: Ludger Beerbaum. Foto: Friso Gentsch/dpa

In einem Beitrag erhebt der TV-Sender RTL Vorwürfe gegen Ludger Beerbaum. Er würde die unerlaubte Methode des Barrens bei seinen Springpferden anwenden.

Warendorf (dpa) – Über 30 Jahre nach der Barr-Affäre um Paul Schockemöhle droht dem deutschen Pferdesport ein Déjà-Vu. Diesmal im Mittelpunkt: der viermalige Olympiasieger Ludger Beerbaum. RTL wirft dem Weltklasse-Springreiter in einem Beitrag bei „RTL Extra“ Tierquälerei vor.

Der 58-Jährige soll mutmaßlich die unerlaubte Trainingsmethode des Barrens bei seinen Springpferden angewandt haben. In einer Stellungnahme wehrte sich der aktuell in Wellington in Florida weilende Beerbaum vehement gegen die Anschuldigungen. „Der Beitrag von ‚RTL extra‘ ist in vielen Punkten nachweislich falsch, verleumderisch und ehrverletzend“, schrieb er. Er kündigte juristische Schritte an. „Es ist nicht hinzunehmen, dass heimlich auf meinem privaten Grund und Boden gefilmt wurde.“

Beerbaum: Hatmit Barren nichts zu tun

RTL hatte am 11. Januar in der Sendung „RTL Extra“ heimlich von einer Informantin aufgenommene Videos gezeigt, in denen Beerbaum auf seiner Anlage in Riesenbeck angeblich Springpferde gebarrt haben soll. Dabei soll den Tieren beim Sprung über ein Hindernis mit einer mehrkantigen Stange gegen die Vorderbeine geschlagen worden sein. Eine Journalistin hatte sich zudem zur Recherche für einige Zeit als angebliche Praktikantin auf der Anlage einstellen lassen.

„Die im Beitrag gezeigten Szenen auf dem Reitplatz haben mit Barren nichts zu tun. Es handelt sich dabei um erlaubtes Touchieren, das von einem erfahrenen, routinierten Pferdefachmann durchgeführt wurde“, meinte Beerbaum. Der im Video zu sehende Gegenstand habe die Vorgaben der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) für ein zulässiges Touchieren erfüllt.

Diese Vorgaben sehen vor, dass die Stange ein glattes Rundholz – nicht mehr als drei Meter lang und nicht schwerer als zwei Kilo – sein muss. Das Touchieren dürfen nur erfahrene Pferdefachleute durchführen. Beerbaum betonte, „dass diese erlaubte Trainingsmethode bei uns nur sehr selten angewendet wird und nicht Bestandteil der täglichen Arbeit ist“.

RTL rechtfertigt den Beitrag

In dem RTL-Film hatte die Journalistin auf einem Dachboden Beerbaums zudem Stangen mit Noppen entdeckt und gefilmt. „Dazu kann ich nur sagen, dass diese Elemente dort seit Jahren liegen“, erklärte Beerbaum. Diese Hindernisse seien aussortiert worden. „Sie werden auch nicht beim Training mit Pferden eingesetzt.“ Ein Stange lag allerdings neben einem Reit-Platz. Er wolle nachforschen, wie diese dahin gekommen sei, meinte Beerbaum.

RTL rechtfertigte auf dpa-Nachfrage die Arbeit des Teams um Investigativjournalist Günter Wallraff. Die Missstände hätten „den Einsatz einer versteckten Kamera auf dem Hof“ gerechtfertigt. Der Sender halte die „Veröffentlichungen in der vorgenommenen Form für angemessen“.

Reiterliche Vereinigung in Erklärungsnot

Der deutsche Verband steckt durch den RTL-Beitrag in einem Dilemma. Schon allein, dass die Vorwürfe gegen den herausragendsten deutschen Springreiter der vergangenen 35 Jahre gerichtet sind, wiegt schwer. Beerbaum hat sich nicht nur auf dem Platz einen Namen gemacht. So sorgte seine Aussage 2009 in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ „Erlaubt ist, was nicht gefunden wird“, mit der er damals seine Haltung in der Vergangenheit beschrieben hatte, für erhebliche Unruhe.

Sportlich ist er nicht mehr so aktiv wie früher. Längst ist er ein erfolgreicher Geschäftsmann im Pferdebusiness. Zuletzt hatte er als Veranstalter die EM der Springreiter in Riesenbeck organisiert. Und auch um die Ausrichtung der Dressur-EM 2023 hat er sich beworben.

Doch wie weit kann sich der Verband von ihm absetzen? Schon kurz nach Mitternacht stellte die FN eine Erklärung auf ihre Webseite. „Bereits jetzt, unabhängig von dem gezeigten Beitrag, können wir klar sagen, dass der Gebrauch von Vierkantstangen sowie genopptem oder gestacheltem Stangenmaterial inakzeptabel ist und nicht im Einklang steht mit den Grundsätzen des fairen Pferdesports“, wurde FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach zitiert.

Doch vor allem die Frage, was Barren (verboten) und was Touchieren (erlaubt) ist und wie sie sich unterscheiden, beschäftigt die FN schon seit der Barr-Affäre Anfang der 90er Jahren und bringt sie durch die RTL-Sendung erneut in Nöte.

Komplexität des Themas Touchieren

Die RTL-Recherche hatte etwa zwei Jahre gedauert. Der FN waren die Vorwürfe seit Juli 2020 bekannt. Als Reaktion darauf richtete der Verband nach eigenen Angaben im Januar 2021 eine Kommission mit Fachleuten aus unterschiedlichen Bereichen des Pferdesports ein. Dieses Gremium „soll strittige Trainingsmethoden überprüfen und, wo nötig, Vorschläge für Regelwerksänderungen machen“. Das Ziel, bis Ende 2021 Ergebnisse vorzulegen, wurde wegen „der Komplexität des Themas Touchieren“ nicht eingehalten.

Im Mai 2021 hatte die Vereinigung mit Sitz in Warendorf bei der Polizei eine Anzeige gegen Unbekannt wegen der möglichen Verletzung des Tierschutzgesetzes erstattet. Die Staatsanwaltschaft Münster teilte im vergangenen November mit, dass die Ermittlungen eingestellt seien. Nun kündigte die FN an, die Staatsanwaltschaft über den Beitrag zu informieren, „damit diese den Sachverhalt auf Grundlage des Tierschutzgesetzes bewerten kann“.

Um eine „seriöse Beurteilung des Sachverhaltes“ vornehmen zu können, bedürfe es des gesamten Video- und Beweismaterials, sagte er. „Wir fordern RTL deshalb erneut auf, uns dieses vollständig zur Verfügung zu stellen.“ Sollte dies geschehen, wird es spannend, wie die FN mit Beerbaum und der Frage Barren oder Touchieren umgeht.

© dpa-infocom, dpa:220112-99-677725/8

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