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Kast vs Boric: Chile stimmt für radikale Präsidentschaftskandidaten

Der deutschstämmige Rechtsaußen-Kandidat José Antonio Kast kommt in der ersten Runde der Wahl um das chilenische Präsidentenamt auf gut 28 Prozent der Stimmen. Das teilt das Wahlamt nach Auszählung von über 85 Prozent der Stimmen mit. Foto: Esteban Felix/AP/dpa
Der deutschstämmige Rechtsaußen-Kandidat José Antonio Kast kommt in der ersten Runde der Wahl um das chilenische Präsidentenamt auf gut 28 Prozent der Stimmen. Das teilt das Wahlamt nach Auszählung von über 85 Prozent der Stimmen mit. Foto: Esteban Felix/AP/dpa

Jahrzehnte politischer Stabilität sind in Chile vorbei: Ein linker Protestanführer und ein ultrarechter Pinochet-Sympathisant befinden sich in einem Kopf-an-Kopf Rennen um das Präsidentenamt.

Chile driftet auseinander: Nach der ersten Runde der Präsidentenwahl am Sonntag zeichnet sich in dem südamerikanischen Land ein Schlagabtausch der politischen Extreme um das höchste Staatsamt ab.

Der deutschstämmige Rechtsaußen-Kandidat José Antonio Kast kam auf gut 28 Prozent der Stimmen, wie das Wahlamt mitteilte. Für den jungen Linkspolitiker Gabriel Boric stimmten rund 25 Prozent der Wähler. Damit dürften die beiden Bewerber von den äußersten Rändern des politischen Spektrums in die Stichwahl am 19. Dezember einziehen.

Nähe zu Jair Bolsonaro

Kast von der Republikanischen Partei will Steuern senken, die Zuwanderung begrenzen und hart gegen Kriminelle vorgehen. Er hat sich nie deutlich von der Militärdiktatur von General Augusto Pinochet (1973-1990) distanziert und sympathisiert mit dem ultrarechten brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Manche chilenische Medien stufen Kast als Rechtsextremisten und Faschisten ein.

Der gerade einmal 35 Jahre alte Kandidat Boric vom linken Wahlbündnis „Apruebo Dignidad“ (Ich stimme der Würde zu) wirbt für den Ausbau des Sozialstaats, Klimaschutz und Frauenrechte. „Chile war die Wiege des Neoliberalismus, es wird auch sein Grab sein“, sagte der frühere Studenten-Anführer und Abgeordnete der Region Magallanes im Wahlkampf.

Ende der Mitte

Das traditionelle Parteiengefüge in Chile ist durch den Wahlausgang vorerst Geschichte. Das erste Mal seit der Rückkehr zur Demokratie 1990 schafften es die traditionellen Mitte-Links- und Mitte-Rechts-Parteien nicht einmal in die Stichwahl.

Für Überraschung sorgte zudem der Wirtschaftswissenschaftler Franco Parisi, der auf gut 13 Prozent der Stimmen kam und damit deutlich bekanntere Kandidaten wie Sebastián Sichel vom Regierungsbündnis „Chile Vamos“ und die frühere Senatspräsidentin Yasna Provoste von der christdemokratischen Partei auf die Plätze verwies. Der libertäre Politiker lebt noch nicht einmal in Chile und landete dennoch auf dem dritten Platz.

Lange galt Chile als leuchtendes Beispiel in der von Armut, Gewalt und politischer Unruhe geprägten Region. Das Land hat das höchste Pro-Kopf-Einkommen in Südamerika, die Armut konnte in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesenkt werden. Zudem verfügt Chile über eine aktive Zivilgesellschaft, seit der Rückkehr zur Demokratie wechselten sich gemäßigte linke und rechte Regierungen ab.

Land in Aufruhr

Heute befindet sich Chile in der Krise: Wegen Brandanschlägen und Attacken radikaler Indigener vom Volk der Mapuche hat die Regierung in einigen Regionen im Süden des Landes den Notstand ausgerufen.

Präsident Sebastián Piñera entging in der vergangenen Woche nur knapp einem Amtsenthebungsverfahren wegen eines fragwürdigen Bergbau-Deals.

Zudem leidet das Land auch unter einer großen sozialen Ungleichheit. Weite Teile des Gesundheits- und Bildungswesens sind privatisiert, immer mehr Menschen fühlen sich abgehängt. Vor zwei Jahren gingen deshalb über Wochen hinweg jeden Tag Tausende gegen die Regierung auf die Straße.

Die Protestwelle entzündete sich zunächst an einer leichten Erhöhung der Preise für den öffentlichen Nahverkehr. Doch bald ging es um Grundsätzliches: Die Demonstranten forderten einen besseren Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung sowie eine Abkehr vom neoliberalen Wirtschaftssystem.

Neue Verfassung

Mit einer ihrer Hauptforderungen konnten sie sich schließlich durchsetzen: Derzeit arbeitet eine Verfassungsgebende Versammlung eine neue Verfassung aus. Der aktuelle Text stammt noch aus der Zeit der Pinochet-Diktatur.

Am Sonntag wurden auch alle Abgeordneten und die Hälfte der Senatoren neu gewählt. Sollte die neue Verfassung in einem Referendum angenommen werden, wäre es an den Parlamentariern, die darin vorgesehenen politischen und sozialen Reformen auch umzusetzen.

© dpa-infocom, dpa:211122-99-91180/5


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