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Machtwechsel in Afghanistan: Taliban stehen vor Kabul

Ein Hubschrauber der USA vom Typ Chinook fliegt über der US-Botschaft in Kabul. Foto: Rahmat Gul/AP/dpa
Ein Hubschrauber der USA vom Typ Chinook fliegt über der US-Botschaft in Kabul. Foto: Rahmat Gul/AP/dpa

Die Taliban haben alle Großstädte Afghanistans bis auf Kabul rasend schnell erobert. Doch auch die Hauptstadt des Landes könnte bald in den Händen der Islamisten liegen. Vor Ort spielen sich chaotische Szenen ab.

Die militant-islamistischen Taliban sind bis vor die Tore der afghanischen Hauptstadt Kabul vorgerückt. Allerdings haben die Islamisten ihre Kämpfer angewiesen, nicht nach Kabul vorzudringen, wie aus einer am Sonntag veröffentlichten Erklärung hervorging.

Innenminister Abdul Sattar Mirsakwal sprach von einer Vereinbarung für einen friedlichen Machtwechsel. Es werde keinen Angriff auf die Stadt geben, sagte Mirsakwal in einem am Sonntag veröffentlichten Video. Die Sicherheit der Stadt sei garantiert.

Kabul ist die letzte Großstadt des Landes unter Kontrolle der Regierung. Die Bundeswehr will am Montag damit beginnen, deutsche Staatsbürger und afghanische Ortskräfte aus dem Land zu holen. Die USA begannen am Sonntag mit der Evakuierung von Botschaftsmitarbeitern und anderen.

Zuvor hatten die Taliban die Großstädte Dschalalabad im Osten am Sonntagmorgen (Ortszeit) sowie Masar-i-Scharif im Norden am Samstagabend eingenommen. In Masar-i-Scharif war bis vor wenigen Wochen ein großes Feldlager der Bundeswehr, seit Ende Juni sind die deutschen Soldaten aus dem Krisenstaat abgezogen.

Die Bundeswehr hatte zuletzt afghanische Sicherheitskräfte im Zuge der Nato-Mission „Resolute Support“ ausgebildet. Masar-i-Scharif war seit rund einer Woche immer wieder von den Islamisten angegriffen worden, am Ende fiel sie praktisch kampflos.

Kampflos in Hände der Islamisten

Dschalalabad, die Provinzhauptstadt von Nangarhar, sei völlig kampflos von den Islamisten erobert worden, bestätigten zwei Provinzräte und ein Bewohner der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag.

Angesichts des rasanten Taliban-Vormarschs will die Bundeswehr an diesem Montag mit der Evakuierung deutscher Staatsbürger und afghanischer Ortskräfte aus Kabul beginnen. Fallschirmjäger der Bundeswehr fliegen in Militärtransportern nach Kabul.

Am selben Tag trifft nach Angaben aus Sicherheitskreisen ein sogenanntes Krisenunterstützungsteam (KuT) aus Experten verschiedener Ministerien in der afghanische Hauptstadt ein. In der usbekischen Kapitale Taschkent soll ein zweites KuT eine Drehscheibe („Hub“) für die Rettung von Menschen vor den Islamisten organisieren. Es geht um den bislang wohl größten Evakuierungseinsatz der Bundeswehr.

Außenminister Heiko Maas sagte der Bild am Sonntag, dass nun die zügige Evakuierung deutscher Diplomaten und anderer Mitarbeiter das Wichtigste sei. „Wir werden nicht riskieren, dass unsere Leute den Taliban in die Hände fallen. Wir sind für alle Szenarien vorbereitet.“

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte am Samstag erklärt, sie könne zu operativen Details des Einsatzes keine Auskunft geben. Diese Linie wurde am Sonntag nochmals vom Ministerium bestätigt.

Deutschland hat seine Botschaft in Afghanistan wegen des Vorrückens der Taliban auf Kabul geschlossen und das Personal zum militärischen Teil des Flughafens in der afghanischen Hauptstadt verlegt. Das teilte Außenminister Heiko Maas (SPD) am Sonntag auf Twitter mit. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dort inzwischen eingetroffen und stellen ihre Arbeitsfähigkeit her“, erklärte Maas.

Für den Nachmittag habe er erneut den Krisenstab der Bundesregierung einberufen. Es gehe darum, „Sofortmaßnahmen zur Sicherung und zur Ausreise deutscher Bediensteter und weiterer gefährdeter Personen aus Afghanistan auf den Weg zu bringen“.

Afghanistans Innenminister Mirsakwal rief die Menschen am Sonntag auf, keiner Propaganda anheim zu fallen. „Die Menschen brauchen sich keine Sorgen zu machen, die Stadt ist sicher.“ Jeder, der Unordnung in der Stadt verursache, werde in Übereinstimmung mit dem Gesetz behandelt.

Auch Verteidigungsminister Bismillah Chan Mohammadi erklärte in einer auf Facebook veröffentlichten Videoansprache, er als Vertreter der Streitkräfte garantiere die Sicherheit Kabuls. Die Menschen sollten nicht in Panik verfallen.

Es sei bekannt, dass sich der Präsident Aschraf Ghani mit heimischen Politikern getroffen und ihnen die Verantwortung übertragen habe, eine Delegation aufzustellen, die am Montag nach Doha reisen solle, um mit den Taliban eine Einigung über die Afghanistan-Frage zu erzielen. Die Sicherheit von Kabul werde aufrechterhalten, bis eine Einigung erzielt werde, sagte er.

Taliban wollen über friedlichen Einzug in Kabul verhandeln

In der Taliban-Erklärung vom Sonntag heißt es, die Kämpfer sollten an den Toren der Stadt Stellung beziehen.

Da die Hauptstadt Kabul eine große und dicht besiedelte Stadt sei, beabsichtigten die Taliban nicht, sie mit Gewalt oder Krieg zu betreten. Man wolle vielmehr mit der anderen Seite über einen friedlichen Einzug in Kabul verhandeln.

In Kabul spielten sich chaotische Szenen ab. Es kam zu einer Schießerei vor einer Bank, wie ein Bewohner der Stadt sagte. Viele Menschen versuchten, ihr Erspartes abzuheben, Lebensmittel zu kaufen und zu ihren Familien heimzukehren.

Ein Soldat aus Kabul sagte, seine gesamte Einheit habe die Uniformen abgelegt. Soldaten, die aus von Taliban eben eroberten Bezirk der Provinz Kabul kamen, bestätigten, dass sich Kämpfer der Islamisten vor der Stadt befänden.

Pakistan schloss am Sonntag angesichts des Vorrückens der Taliban einen wichtigen Grenzübergang zu seinem Nachbarland. Innenminister Sheikh Rashid verkündete die Schließung des Grenzübergangs Torkham im Nordwesten Pakistans, ohne einen Termin für die Wiedereröffnung zu nennen.

© dpa-infocom, dpa:210815-99-846296/7

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