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Dramatischer Corona-Appell: „Müssen jetzt diese Welle stoppen“

Jens Spahn (CDU), geschäftsführender Bundesminister für Gesundheit. Foto: Michael Kappeler/dpa
Jens Spahn (CDU), geschäftsführender Bundesminister für Gesundheit. Foto: Michael Kappeler/dpa

Tag um Tag kommen Zehntausende Neuinfizierte dazu – und eine Welle schwerer Fälle rollt absehbar auf die Kliniken zu. Wie kann die Lage unter Kontrolle kommen? Dringende Schritte kommen in den Blick.

Wegen der immer bedrohlicheren Corona-Ausbreitung über ganz Deutschland wächst der Druck, Großveranstaltungen abzusagen und Kontakte auf breiter Front zu unterbinden.

Die geschäftsführende Bundesregierung und das Robert Koch-Institut (RKI) riefen am Freitag alle Bürger zur Vorsicht auf und verlangten sofortige zusätzliche Beschränkungen in Ländern und Kommunen vor Ort.

„Wie viele Menschen müssen denn noch sterben, damit wir unser Verhalten anpassen und die Krankenhäuser und das Pflegepersonal entlasten?“, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler. Um eine vorgezogene Bund-Länder-Runde gibt es weiter Streit. Zum Schutz vor einer neuen Virusvariante greifen ab Samstag Einschränkungen und Quarantänevorgaben für Flüge aus Südafrika.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte, die Lage sei so ernst wie noch zu keinem Zeitpunkt in der Pandemie. „Wir müssen jetzt diese Welle stoppen. Sonst erleben wir genau das, was wir immer vermeiden wollten: eine Überlastung des Gesundheitssystems.“

Warnungen und Weckrufe seien aber noch immer nicht überall angekommen, es passiere zu wenig und oft zu spät. Die Welle werde vom stark betroffenen Süden und Osten „weiter gen Westen und Norden ziehen“. Trotz Impfungen und Tests sei kurzfristig jetzt nur eines entscheidend: „Die Zahl der Kontakte muss runter, deutlich runter. Es nützt alles nichts.“

Ernstere Situation droht allen Ländern

Konkret nannte Spahn konsequente Zugangsregeln nur für Geimpfte und Genesene zusätzlich mit Test (2G plus) sowie Absagen von Feiern und Großveranstaltungen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte, die Situation wirklich ernst zu nehmen, wie Regierungssprecher Steffen Seibert deutlich machte. Einzelne Bundesländer hätten schon sehr massive Kontaktbeschränkungen ergriffen. Alle müssten sich aber darüber klar werden, dass auch Länder in noch besserer Lage mit einer deutlich ernsteren Situation rechnen müssten. Das bedeute, dass auch sie sich möglicherweise auf solche Maßnahmen vorbereiten müssten.

RKI-Chef Wieler sagte: „Ich erwarte jetzt von den Entscheidern, dass sie alle Maßnahmen einleiten, um gemeinsam die Fallzahlen herunterzubringen.“ Er bat auch die Bürgerinnen und Bürger zu helfen: „Mit jedem Kontakt, den wir nicht haben, mit jedem Treffen, auf das wir verzichten, mit jeder Menschenmenge, die wir meiden, helfen wir dabei, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.“

Zu Beginn seines Statements in der Bundespressekonferenz in Berlin bat Wieler um ein kurzes stilles Gedenken für die mehr als 100.000 Menschen, die in Zusammenhang mit dem Corona-Virus in Deutschland gestorben sind.

Bundesweit beschleunigte sich die Ausbreitung weiter. Die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen stieg laut RKI auf den Höchststand von 438,2 – nach 419,7 am Vortag und 340,7 vor einer Woche. Die Gesundheitsämter meldeten 76.414 neue Fälle an einem Tag, hinzu kamen 357 weitere Todesfälle in 24 Stunden.

Bei Verlegungen von Intensivpatienten aus überlasteter Kliniken hilft nun erstmals auch die Luftwaffe. Ein Airbus A310 MedEvac startete nach Bundeswehr-Angaben am Freitag Richtung Memmingen in Bayern. Von dort sollte er Schwerkranke zum Flughafen Münster-Osnabrück bringen.

Schnelle Bund-Länder-Runde gefordert

Spahn erläuterte: „80 oder 100 Patienten innerhalb Deutschlands zu verlegen, das geht vielleicht zwei Mal, vielleicht drei Mal. Aber das geht nicht unbegrenzt oft.“ Das Beste wäre eine Bund-Länder-Runde zu weitergehenden Maßnahmen schon in den nächsten Tagen. „Die letzte war drei Wochen zu spät, das sollte nicht wieder passieren.“

Der Übergang zur künftigen Ampel-Regierung dürfe nicht zu Verzögerungen führen. „Je länger wir das jetzt laufen lassen, desto drastischer werden am Ende die notwendigen Maßnahmen sein müssen“, warnte Spahn. Geplant ist die nächste Ministerpräsidentenkonferenz am 9. Dezember. Unter den Ländern gab es zu einem Vorziehen unterschiedliche Positionen.

Angesichts einer neuen Virusvariante sollen in der Nacht zu Samstag Beschränkungen für Flüge aus Südafrika greifen. Fluggesellschaften dürfen nur noch deutsche Staatsbürger nach Deutschland bringen. Nach Ankunft gelten 14 Tage Quarantäne für alle, auch für Geimpfte. „Das letzte, was uns jetzt noch fehlt, ist eine eingeschleppte neue Variante, die noch mehr Probleme macht“, sagte Spahn.

Experten fürchten, dass die vielen Mutationen der zunächst im südlichen Afrika nachgewiesenen Variante B.1.1.529 dazu führen, dass sich der Erreger schneller ausbreitet oder Impfstoffe ihre Schutzwirkung verlieren. Belgien meldete einen ersten Fall. In Deutschland wurde die Variante laut RKI-Angaben vom Freitagvormittag zunächst nicht festgestellt.

Impfstoffe stehen bereit

Für die geplante Beschleunigung der Impfungen sind laut Spahn die nötigen Impfstoffmengen verfügbar. Der Bund werde innerhalb von zehn Tagen 18 Millionen Dosen für Auffrischimpfungen ausgeliefert haben.

Angesichts des Ziels, bis Weihnachten 20 Millionen bis 30 Millionen „Booster“-Impfungen zu erreichen, sei dies schon „ein ziemlich großer Schritt dahin“. Im Gesamtsystem sei genug Impfstoff da, erläuterte Spahn. Er verwies zugleich darauf, dass es jetzt wegen Umstellungen in der Logistik vom Großhandel über Apotheken in die Praxen auch zu Verzögerungen beim Verteilen in der Fläche kommen könne.

Die Zahl der bestellenden Praxen ist auf rund 100.000 gestiegen, wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung mitteilte. Sie beklagte aber, dass Bestellungen des Biontech-Impfstoffs begrenzt seien und es teils erneut an Impfstoff mangele. Die Apotheken boten Unterstützung bei Auffrischungsimpfungen an, wenn der Gesetzgeber wolle und Verstärkung gefordert sei. Spahn sagte: „Jede Impfung gibt Hoffnung, dass dieser Winter doch nicht so dunkel wird, wie es aktuell aussieht.“

© dpa-infocom, dpa:211126-99-147977/12

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