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Mit Ausdauer und Austausch gegen Long Covid

Teilnehmer eines Reha-Sportkurses für Long Covid-Patienten laufen über Trainingsleiter. Mit der Übung soll die Koordination trainiert werden. Foto: Carolin Eckenfels/dpa
Teilnehmer eines Reha-Sportkurses für Long Covid-Patienten laufen über Trainingsleiter. Mit der Übung soll die Koordination trainiert werden. Foto: Carolin Eckenfels/dpa

Nach einer Corona-Infektion können lang anhaltende Beschwerden bleiben. Spezielle Sportkurse sollen Long Covid-Patienten helfen – allein schon dadurch, sich nicht mehr damit allein zu fühlen.

Ausdauer ist im Kampf gegen Long Covid gefragt, der Austausch in einer Gruppe kann bei der Bewältigung helfen.

In Trippelschritten geht es über eine am Boden liegende Leiter. Ohne hinzuschauen sollen die Kursteilnehmer ihre Füße zwischen die Sprossen setzen.

„Ich will euch mit der Übung zeigen, dass euer Körper das kann“, ermutigt die Leiterin des Reha-Sportkurses in Wetzlar die sechs Männer und Frauen. Der eine geht langsamer, die andere schneller über das Trainingsgerät – gemeinsam ist ihnen, dass sie Long Covid-Patienten sind.

Durch Covid-Erkrankung ausgebremst

Von Long Covid spricht man, wenn nach einer überstandenen Corona-Infektion neue Symptome hinzukommen oder diese länger als vier Wochen bestehen.

Der Bedarf für ambulante Hilfsangebote ist groß. So hat etwa das Rehazentrum „MedReha Lahn-Dill Sport & Therapie“ in Wetzlar nach dem Start Anfang Mai mit etwa 15 Menschen mittlerweile vier Kurse mit insgesamt rund 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

„Es sind Menschen, die mitten im Leben stehen“, sagt Initiatorin Claudia Ellert. „Es sind die 20- bis 50-Jährigen, die ihre Karrieren starten, oder die mitten im Beruf sind, die Familie haben.“ Und die durch ihre Erkrankung ausgebremst wurden, nun schnell erschöpft sind, Probleme mit dem Gleichgewicht haben, der Merkfähigkeit, der Konzentration oder der Atmung.

Ärztin Ellert, selbst von Long Covid betroffen, rief vor gut einem halben Jahr das Reha-Sportangebot in Wetzlar ins Leben. Sie fand keine ambulanten Anbieter und wurde daher selbst aktiv.

„Aus der ursprünglichen Idee, eine Anlaufstelle für Long Covid-Patienten zu schaffen, ist ein ambulantes Therapiekonzept geworden in Zusammenarbeit mit der Technischen Hochschule Mittelhessen, also mit wissenschaftlicher Betreuung.“ Derzeit werde an einer Studie gefeilt, Ellert hofft auf die Förderung durch das hessische Sozialministerium.

Übungen für Atmung, Koordination und Entspannung

Zu den Trainingsstunden gehören Übungen für die Atmung, die Koordination – daher die Schritte über die Leiter – oder für die Entspannung.

Ziel ist Ellert zufolge nicht so sehr der körperliche Fortschritt – der bei vielen noch auf sich warten lässt -, sondern Krankheitsverständnis und vor allem Austausch mit ebenfalls Betroffenen. Viele Teilnehmer erzählten, dass ihre Beschwerden hier das erste Mal ernst genommen würden und sie verstanden worden seien.

In Hessen gibt es mittlerweile verschiedene Anlaufstellen für Patienten. Nach Angaben des Sozialministeriums in Wiesbaden wurden beispielsweise „Long Covid-Ambulanzen“ an den Uni-Kliniken in Frankfurt, Marburg und Gießen eingerichtet, auch Reha-Kliniken haben Angebote. Zudem laufen verschiedene Forschungsprojekte.

Long Covid-Patienten oder Menschen, die eine Corona-Infektion durchgemacht haben, finden bei der „Sport- und Kulturgemeinde Erfelden“ (SKG) in Riedstadt ebenfalls Hilfe. Der Verein hat derzeit drei Reha-Sportkurse für diese Gruppen im Programm.

„Wir wollten so schnell wie möglich Angebote für Long Covid-Patienten machen“, sagt die zuständige Spartenleiterin der SKG, Christine Ganster. „Weil wir erkannt haben, wie wichtig das für diese Menschen sein wird – allein schon auf sozialer Ebene.“

Viele trauen sich nicht, zu Reha-Sportkursen zu kommen

Man habe damit „einen wichtigen Punkt getroffen, auch weil wir Teilnehmer dabei haben, die ihren Lebenspartner verloren haben oder immer wieder an ihre traumatischen Erfahrungen auf der Intensivstation erinnert werden“.

Die jüngsten der insgesamt rund 25 Teilnehmer seien zwischen 30 und 35 Jahre alt, die ältesten 70 plus. „Wir trainieren sehr viel im Schwerpunkt die Atemmuskulatur. Im Grunde aber trainieren wir alles – die Teilnehmer brauchen wirklich alles.“

Ganster sieht einen großen Bedarf für solche Reha-Angebote für Long Covid-Patienten. „Bei dieser Erkrankung habe ich aber auch das Gefühl, dass viele sich nicht trauen, zu kommen. Vielleicht, weil sie sich nicht ‚outen‘ wollen.“

Im Kursraum in Wetzlar steht zum Ende des Trainings eine Entspannungsübung an. Durchatmen. Zur Ruhe kommen, ehe der Alltag weiter bewältigt werden muss. „Der Kurs hilft in zweierlei Hinsicht“, sagt Teilnehmer Michael Stündl.

Einmal durch die Bewegung sowie das Trainieren von Bewegungsabläufen und Koordination. „Aber auch der Austausch mit anderen Betroffenen ist ein wichtiger Aspekt.“ Das sei „wie so eine Art kleine Selbsthilfegruppe“, sagt der 37-Jährige. „Man kann sich ein bisschen austauschen und merkt: Ganz so alleine ist man damit nicht.“

Ähnlich ist das für die 27 Jahre alte Rebecca Hartmann. Der Kurs helfe ihr zudem auf langfristige Sicht: „Ich kann mich besser konzentrieren, ich kann mich besser bewegen, bin etwas ausdauernder geworden.“ Was sich beide wünschen: Ein größeres Bewusstsein in der Öffentlichkeit, welche langfristigen Folgen eine Corona-Infektion haben kann – und Verständnis für die Betroffenen.

© dpa-infocom, dpa:211101-99-818065/2

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