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Bereits 1.029 Corona-Infizierte: Tönnies-Betrieb für 14 Tage geschlossen

Ein Soldat Bundeswehr vor dem Gebäude der Fleischfabrik Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. Foto: David Inderlied/dpa
Ein Soldat Bundeswehr vor dem Gebäude der Fleischfabrik Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. Foto: David Inderlied/dpa

Die Behörden im Kreis Gütersloh arbeiten intensiv daran, den massenhaften Corona-Ausbruch in Deutschlands größtem Fleischbetrieb Tönnies in den Griff zu bekommen.

Nach dem Corona-Ausbruch beim Fleischproduzenten Tönnies in Rheda-Wiedenbrück sind mittlerweile 1.029 Mitarbeiter positiv auf das Virus getestet worden und gelten somit als Infizierte. Dies teilte der Landrat des Kreises Gütersloh, Sven-Georg Adenauer, am Samstag in Gütersloh mit. Die Fabrik wurde für 14 Tage geschlossen.

Insgesamt 3.127 Befunde lägen mittlerweile vor, so Adenauer. Er betonte: „Wir haben keinen signifikanten Eintrag von Corona-Fällen in die allgemeine Bevölkerung. Wenn wir das Geschehen rund um die Firma Tönnies nicht hätten, hätten wir es im Kreis Gütersloh mit einem ganz normalen Verlauf zu tun.“ Das RKI hatte für Deutschland 770 und 601 Corona-Neuinfektionen für die beiden letzten Tage vermeldet.

Die Fabrik in Rheda-Wiedenbrück ist Deutschlands größter Fleischbetrieb. Er sei jetzt für 14 Tage geschlossen worden, sagte der Leiter des Krisenstabes, Thomas Kuhlbusch. Nachlaufarbeiten seien unter Arbeitsquarantäne-Bedingungen noch möglich. Das bedeutet, dass die Mitarbeiter sich zwischen Arbeits- und Wohnort bewegen dürfen – ausschließlich.

Der Konzern hatte die niedrigen Temperaturen durch Kühlung in den Produktionsräumen und Heimreisen der Beschäftigten nach Osteuropa an den zurückliegenden langen Wochenenden als mögliche Gründe für den Infektionsausbruch genannt.

Dazu meinte Isabella Eckerle am Donnerstag, sie halte es für „extrem unwahrscheinlich“, dass Hunderte Corona-Fälle auf solche Familienbesuche zurückgehen. „Die Inkubationszeit beträgt im Mittel fünf Tage, so dass ein Wochenendbesuch kaum so eine große Anzahl an Personen erklären kann“, sagte die Expertin von der Abteilung für Infektionskrankheiten der Universität Genf.

Vertrauen zerrüttet

Die Behörden hatten unterdessen große Schwierigkeiten, an die Adressen der Tönnies-Mitarbeiter für die Identifikation der Corona-Infizierten zu kommen. Nachdem am Freitagvormittag immer noch 30 Prozent der Adressen gefehlt hätten, hätten sich der Kreis Gütersloh und der Arbeitsschutz in der Nacht zum Samstag Zugriff auf die Personalakten der Firma Tönnies verschafft.

„Das Unternehmen hatte es nicht geschafft, uns alle Adressen zu liefern“, sagte Landrat Adenauer. Die Behörden seien gemeinsam am Freitagabend in die Konzern-Zentrale gegangen. Am Samstagmorgen um 01.30 Uhr sei man fertig gewesen. Jetzt lägen 1.300 Adressen von Wohnungen allein für den Kreis Gütersloh vor.

Das Verhältnis zwischen dem Kreis und der Firma ist entsprechend zerrüttet. „Das Vertrauen, das wir in die Firma Tönnies setzen, ist gleich Null. Das muss ich so deutlich sagen“, sagte Landrat Kuhlbusch weiter.

In einer Pressekonferenz erklärte Tönnies unterdessen, dass die Firma die personenbezogenen Daten der Beschäftigten von Dienstleistern aus gesetzlichen Gründen nicht speichern dürfe und diese 6.000 Datensätze daher erst erhoben werden mussten.

Eine entsprechende behördliche Verordnung um Druck auf die Dienstleister auszuüben und deren datenschutzrechtliche Bedenken auszuräumen, habe erst am Samstag um 7.30 Uhr vorgelegen. Es sei eine „sehr produktive Zusammenarbeit“ gewesen, so ein Sprecher. Clemens Tönnies betonte, dass auch in Zukunft alle Anforderungen erfüllt werden würden.

Laut der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) reichen die nach den ersten Corona-Ausbrüchen in Schlachtbetrieben angeordneten Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten nicht. „Die Menschen arbeiten weiter auf engstem Raum, die Bänder in den Fleischfabriken laufen meist in der gleichen Geschwindigkeit wie vor der Krise“, sagte ein Sprecher. Verdi warf dem Kreis Gütersloh vor, unzureichende Hygienepläne des Unternehmen abgesegnet zu haben.

Proteste und Bundeswehr vor Ort

Vor dem Betrieb in Rheda-Wiedenbrück protestierten am Samstagmittag rund 60 Menschen gegen den Konzern. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr den Menschen die Rechte klaut“, riefen die Demonstranten. Zahlreiche Menschen hielten Plakate hoch, auf denen etwa stand: „Stoppt das System Tönnies“ und „Tiere sind keine Ware“.

Die Thema „Billigfleisch“ und „Arbeitsbedingungen“ gerieten auch in der Politik in die Kritik. „So werden wir nicht weitermachen“, so Clemens Tönnies auf einer Pressekonferenz. Er kündigte an: „Wir werden diese Branche verändern.“

Auch die Corona-Reihenuntersuchungen auf dem Gelände der Tönnies Fleischfabrik wurden am Samstag fortgesetzt und bestätigten weitere Infizierte. Nachdem am Freitag bereits 25 Bundeswehrsoldaten die Maßnahmen unterstützten, wurden am Samstag 40 weitere hinzugeholt.

„20 davon helfen bei der Dokumentation und 20 helfen bei der Kontaktpersonennachverfolgung“, sagte Bundeswehrsprecher Uwe Kort. Die Kräfte seien mit zehn Fahrzeugen der Bundeswehr unterwegs und würden gemeinsam mit medizinischem Personal und Mitarbeitern des Kreises Gütersloh Unterkünfte abfahren und dort Menschen testen. Laut Kort sprechen die Soldaten osteuropäische Sprachen, um sich mit den Arbeitern verständigen zu können.

Quarantäne für Mitarbeiter

Der Kreis hatte am Freitag verfügt, dass alle rund 6.500 Tönnies-Mitarbeiter am Standort Rheda-Wiedenbrück mitsamt allen Haushaltsangehörigen in Quarantäne müssen. Das Land will die Quarantäneanordnung für corona-infizierte Tönnies-Mitarbeiter konsequent durchsetzen. Es werde dazu alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, hatte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Freitagabend in Düsseldorf gesagt. „Wir müssen sicherstellen, dass in dieser Situation jeder sich an die Regeln hält.“

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) geriet derweil wegen einer Äußerung unter Druck – und nahm daraufhin erneut Stellung. „Menschen gleich welcher Herkunft irgendeine Schuld am Virus zu geben, verbietet sich. Mir ist wichtig klarzumachen, dass das für mich wie für die gesamte Landesregierung selbstverständlich ist“, erklärte Laschet am Donnerstag. Die Verantwortung für das Geschehen liege bei den Unternehmen, betonte der CDU-Politiker. Er kündigte zugleich „substanzielle Verbesserungen bei den Bedingungen insbesondere für Arbeitnehmer aus Bulgarien und Rumänien“ an.

Am Mittwoch hatte Laschet auf die Frage, was der Corona-Ausbruch im Schlachtbetrieb Tönnies über die bisherigen Lockerungen in NRW aussage, geantwortet: „Das sagt darüber überhaupt nichts aus, weil Rumänen und Bulgaren da eingereist sind und da der Virus herkommt. Das wird überall passieren.“ Der SPD-Fraktionschef im NRW-Landtag Thomas Kutschaty hatte daraufhin von Laschet eine Entschuldigung gefordert. „Mit diesem Zitat hat sich Armin Laschet die Denke von Tönnies eins zu eins zu Eigen gemacht. Das ist unterste Schublade“, sagte Kutschaty der Deutschen Presse-Agentur.

Laschet schließt Lockdown nicht aus

Einen Corona-Ausbruch habe es „in dieser Größe“ in NRW bisher nicht gegeben, so Laschet, der einen regionalen Lockdown ausdrücklich nicht ausschloss. Das Infektionsgeschehen könne noch lokalisiert werden. „Sollte sich dies ändern, kann auch ein flächendeckender Lockdown in der Region notwendig werden“, hatte Laschet am Freitagabend in Düsseldorf gesagt.

Die Polizei ist auf einen Großeinsatz eingestellt. Bei der Polizei Bielefeld wurde eine sogenannte BAO, eine Besondere Aufbauorganisation gebildet, die mögliche Einsätze landesweit koordiniert. Beamte einer Einsatzhundertschaft verteilten sich am Samstag im Gebiet des Kreises Gütersloh.

Nach Angaben einer Sprecherin der Polizei Bielefeld sollen sie bei Anforderung durch die Ordnungsbehörden unterstützend tätig werden, „beispielsweise wenn Kontrollen durchgeführt werden“. Dies war nach ihren Angaben bis zum Mittag noch nicht der Fall. „Wir werden als Polizei nicht eigeninitiativ tätig“, sagte die Sprecherin.

Erste Corona-Infizierte bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück und schnell steigende Infektions-Zahlen waren am Mittwoch bekannt geworden. Bereits im Mai war es auf einem Schlachthof des Konkurrenzunternehmens Westfleisch im Kreis Coesfeld zu einem Corona-Ausbruch gekommen. Das nordrhein-westfälische Landeskabinett will sich am Sonntag in einer Sondersitzung mit dem Ausbruch bei Tönnies beschäftigen.

Konzernintern belebte die Krise einen langanhaltenden Streit an der Führungsspitze: Robert Tönnies, Mitinhaber des Schlachtbetriebs, forderte laut einem von Radio Gütersloh veröffentlichten Brief den Rücktritt seines Onkels Clemens Tönnies aus der Geschäftsleitung.

Pressekonferenz Tönnies (ARD via Youtube)

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