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Klitschko-Brüder kämpfen um Kiew

Vitali Klitschko (r), Bürgermeister von Kiew und ehemaliger Box-Profi, und sein Bruder Wladimir Klitschko, ebenfalls ehemaliger Box-Profi, wollen Kiew verteidigen. Foto: Efrem Lukatsky/AP/dpa
Vitali Klitschko (r), Bürgermeister von Kiew und ehemaliger Box-Profi, und sein Bruder Wladimir Klitschko, ebenfalls ehemaliger Box-Profi, wollen Kiew verteidigen. Foto: Efrem Lukatsky/AP/dpa

Die Klitschko-Brüder begeisterten im Boxen. Nun ist Vitali Bürgermeister der Ukraine-Hauptstadt Kiew. Gegen den von Kremlchef Wladimir Putin angeordneten russischen Angriff kämpfen sie nun gemeinsam.

Kiew (dpa) – Vitali und Wladimir Klitschko kämpfen wieder. Seit Jahren nicht mehr im Boxring, dafür jetzt in Kiew – gegen die russischen Angriffe auf die ukrainische Hauptstadt.

Seit 2014 ist Vitali Klitschko – der ältere der beiden Brüder – Bürgermeister der Metropole mit ihren 2,8 Millionen Einwohnern. In diesen Tagen hat er die schwierige Aufgabe, die Menschen zugleich vor Luftangriffen zu warnen und ihnen Mut zuzusprechen. „Der Feind will das Herz unseres Landes erobern. Aber wir werden kämpfen und Kiew nicht aufgeben“, schreibt der 50-Jährige im sozialen Netzwerk Telegram.

Ständig heulen in Kiew die Luftalarm-Sirenen, Raketen schlagen ein, der Fernsehturm wird angegriffen. Am Dienstag zeigen Satellitenbilder eine gewaltige Kolonne aus Panzern und anderen Militärfahrzeugen, die aus dem Nordosten in Richtung der Stadt rollt. Unterdessen veröffentlicht Vitali Klitschko Videobotschaften, in denen er mal vor der Kiewer Stadtkarte spricht, mal vor der ukrainischen Flagge.

Auch sein fünf Jahre jüngerer Bruder Wladimir, der Vitali fast zum Verwechseln ähnlich sieht, ist nach eigenen Angaben in Kiew. Auch er zeigt sich in Videos in Tarnuniform, auch er spricht mit ernster Miene und müden Gesichtszügen. Das optisch auffälligste Unterscheidungsmerkmal ist, dass Wladimir zwischenzeitlich einen Drei-Tage-Bart hat und Vitali auch im Krieg glatt rasiert ist.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

In dieser schweren Zeit komme den Klitschko-Brüdern auch ihre im Profi-Sport jahrelang trainierte Willensstärke zugute, meinen Experten und Wegbegleiter. „Was die beiden Jungs gerade für ihr Land tun, ist unbeschreiblich. Als mehrfache Millionäre könnten sie sich überall ein schönes Leben leisten, aber sie kämpfen im Krieg für ihre Heimat“, sagte Thomas Pütz, Präsident des Bundes Deutscher Berufsboxer (BDB).

Vitali und Wladimir seien sehr unterschiedliche Charaktere, meint Pütz: „Wladimir denkt viel nach, wägt ab, ist vorsichtig. Vitali dagegen legt den Schalter um und und lässt sich nicht stoppen. Sein unbedingter Wille, seine mentale Kraft sind herausragend.“  Auch sein einstiger, 2014 verstorbener Trainer und väterlicher Freund Fritz Sdunek sagte einmal über seinen Schützling: „Ich kenne Vitali genau. Wenn er etwas anfängt, bringt er es auch mit 100 Prozent zu Ende.“

Vitali wurde 1971 als Sohn einer eines ukrainischen Luftwaffen-Obersts und einer Lehrerin im sowjetischen Kirgistan geboren, Wladimir 1976 in Kasachstan. Als die beiden Boxer 1996 auf dem Museumsschiff „Rickmer Rickmers“ im Hamburger Hafen vorgestellt wurden, ging ein Raunen durch die versammelte Journalisten-Menge. Zwei Hünen – Vitali 2,01 Meter, Wladimir 1,98 Meter – gehörten fortan zum Hamburger Universum-Boxstall von Promoter Klaus-Peter Kohl. Mit ihren K.o.-Siegen und Titeln mischten die Brüder die Schwergewichtsszene auf und dominierten sie viele Jahre.

Karriere der Brüder

Wladimir kam als Olympiasieger 1996 aus Atlanta zurück und hatte den Erfolg eingeheimst, den ursprünglich Vitali angepeilt hatte. Doch der ältere Klitschko-Bruder war nach nachgewiesenem Anabolika-Missbrauch gesperrt worden. Wladimir sprang ein und holte das Gold für die Familie. Vitali hatte im Vergleich zu seinem jüngeren Bruder nicht dessen elegante Technik, Beweglichkeit und Geschmeidigkeit im Ring. Dafür war er seinem Bruder in der Schlagkraft überlegen. Von seinen 47 Profikämpfen gewann er 45 – und das mit einer sagenhaften K.o.-Quote von 87,23 Prozent.

„Dr. Eisenfaust“, wie Vitali Klitschko aufgrund seiner Schlaghärte genannt wurde, war WBO- und später WBC-Weltmeister. Seinen größten Kampf bestritt er gegen den britischen Weltmeister Lennox Lewis im Juni 2003. Zwar verlor er in einem mitreißenden Duell durch technischen K.o. in der sechsten Runde – aber nur, weil der Ringrichter den Kampf wegen eines stark blutenden Risses in Klitschkos Augenbereich abbrach.

2005 konnte der promovierte Sportwissenschaftler wegen einer schweren Verletzung nicht zur Titelverteidigung antreten und wurde zum Champion Emeritus (Weltmeister im Ruhestand) ernannt. Geplagt von zahlreichen Verletzungen und Operationen beendete er seine Karriere im Ring – und gab 2008 sein Comeback. „Wenn er gesund ist, ist er der beste Schwergewichtler“, sagte Promoter Kohl damals.

Schon während seiner Zeit als Profisportler träumte Vitali von einem späteren Einstieg in die ukrainische Politik, 2010 gründete er die Partei Udar (Schlag). Nach seinem Kampf im September 2012 gegen Manuel Charr dauerte es nicht mehr lange, bis der dreifache Vater das Boxen aufgab. „Wir haben einen tollen Sportsmann verloren. Aber die Ukraine hat eine super Politiker gewonnen“, sagte BDB-Präsident Pütz damals bei Klitschkos Abschied.

Heute sagt Pütz über Klitschko: „Vitali in seinem Amt als Bürgermeister ist für mich zur Zeit ein Übermensch. Es geht um Leben und Tod. Ich bewundere seine Haltung und sein Engagement zutiefst. Das ist viel, viel größer als das, was er im Boxring erreicht hat.“

© dpa-infocom, dpa:220302-99-347040/5


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