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BGH bestätigt Höchststrafe für NSU-Terroristin Zschäpe

Die Angeklagte Beate Zschäpe im Juli 2018 auf der Anklagebank im Gerichtssaal. Foto: Peter Kneffel/dpa-Pool/dpa
Die Angeklagte Beate Zschäpe im Juli 2018 auf der Anklagebank im Gerichtssaal. Foto: Peter Kneffel/dpa-Pool/dpa

2011 kam ans Licht, dass drei Rechtsextreme jahrelang mordend durch Deutschland ziehen konnten. Fast zehn Jahre später schließt der Bundesgerichtshof die strafrechtliche Aufarbeitung weitgehend ab.

Karlsruhe (dpa) – Die NSU-Terroristin Beate Zschäpe entgeht nicht der Höchststrafe. Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte die Verurteilung der 46-Jährigen als Mittäterin an der rassistisch motivierten Mordserie des „Nationalsozialistischen Untergrunds“.

Damit bleibt es bei der Strafe, die das Oberlandesgericht (OLG) München 2018 verhängt hatte: lebenslange Haft bei besonderer Schwere der Schuld. Wie der BGH am Donnerstag weiter mitteilte, sind auch die Verurteilungen der NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben und Holger G. rechtskräftig. Über die Revisionen im Fall des mitangeklagten André E. soll im Dezember in Karlsruhe verhandelt und entschieden werden. (Az. 3 StR 441/20)

Über Zschäpes Revision hatten die obersten Strafrichterinnen und -richter ohne Verhandlung am 12. August per schriftlichem Beschluss entschieden. Die Entscheidungen zu Wohlleben und G. wurden nicht begründet. Damit ist das NSU-Verfahren, was die zentralen Personen angeht, abgeschlossen – im zehnten Jahr nach dem Suizid von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt und dem Auffliegen des Trios.

14 Jahre im Untergrund

Zschäpe hatte mit Mundlos und Böhnhardt fast 14 Jahre im Untergrund gelebt. In dieser Zeit verbreiteten die Rechtsterroristen des NSU unerkannt Angst und Schrecken: Zwischen September 2000 und April 2007 ermordeten die Männer acht türkischstämmige und einen griechischstämmigen Kleinunternehmer sowie eine Polizistin. Wer hinter der Serie von Morden, Anschlägen und Raubüberfällen stand, wurde erst bekannt, als sich Mundlos und Böhnhardt 2011 das Leben nahmen, um der Festnahme zu entgehen. Zschäpe zündete die gemeinsame Wohnung an, verschickte ein Bekennervideo und stellte sich.

Die größte Frage war, ob das OLG München Zschäpe zu Recht für all diese Taten als vielfache Mörderin mitverantwortlich gemacht hat. Denn es gibt keinen Beweis, dass sie selbst an einem der Tatorte war.

Monatelange Prüfung des OLG-Urteils

Der 3. Strafsenat des BGH hatte das OLG-Urteil monatelang geprüft – und hat „im Ergebnis keine rechtlichen Bedenken“. Zschäpe habe „in hierfür ausreichendem Maße sowohl Tatherrschaft als auch Tatinteresse“ gehabt. Ihre Rolle, sich vorwiegend im Umfeld der gemeinsamen Wohnung aufzuhalten, sei zwar nicht mit „Schmierestehen“ vergleichbar. Zschäpe habe aber alle Taten mitgeplant, die Abwesenheit ihrer Komplizen gedeckt und für die Veröffentlichung des wichtigen Bekennervideos bereitgestanden. „Sie übte daher eine wesentliche Funktion aus, von der das Gelingen des Gesamtvorhabens abhing“, heißt es in dem 31-seitigen Beschluss.

Die Richterinnen und Richter strichen lediglich eine Einzelstrafe. Auf das Strafmaß hat dies keine Auswirkungen, es bleibt auch bei der vom OLG festgestellten besonderen Schwere der Schuld. Damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen. Zschäpe sitzt bislang in der Justizvollzugsanstalt Chemnitz in Untersuchungshaft, dorthin war sie im Februar 2019 von München-Stadelheim verlegt worden. Sie dürfte nun in eine Abteilung für Strafgefangene verlegt werden.

Zschäpe-Verteidiger will rechtliche Schritte prüfen

Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Heer kritisierte die Entscheidung. Ihr Vertrauensanwalt Mathias Grasel teilte mit: „Ich werde die Entscheidung des Revisionsgerichts zeitnah mit meiner Mandantin besprechen und wir werden anschließend gemeinsam überlegen, ob hiergegen weitere rechtliche Schritte unternommen werden sollen.“ Denkbar wäre jetzt nur noch, sich an das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu wenden. Beides dürfte nicht allzu aussichtsreich sein.

Anwältin Seda Basay-Yildiz, die im Münchner Prozess Opfer-Angehörige vertreten hatte, sagte der dpa, nun sei das Urteil Gott sei Dank rechtskräftig. Auch ihre Mandanten seien darüber erleichtert.

Wohlleben und Holger G. waren wegen der langen Dauer des Verfahrens zwischenzeitlich aus der U-Haft entlassen worden. Die Bundesanwaltschaft muss nun prüfen, ob beziehungsweise wie lange sie noch in Haft müssen. Das OLG hatte Wohlleben als Waffenbeschaffer wegen Beihilfe zum Mord zu zehn Jahren Haft verurteilt, G. wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu drei Jahren Haft.

Verhandlung zu André E. Anfang Dezember

Dass der Fall von André E. am BGH verhandelt wird, war abzusehen. Denn seine Verurteilung zu einer überraschend milden Strafe wird als einzige auch von der Bundesanwaltschaft angefochten. Die Verhandlung soll am 2. Dezember stattfinden, das Urteil am 15. Dezember verkündet werden. E. hatte den NSU-Terroristen mehrere Bahncards besorgt und ein Wohnmobil angemietet, mit dem sie für einen Bombenanschlag nach Köln fuhren. Das OLG hatte ihn aber nur wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Eine fünfte Verurteilung war schon länger rechtskräftig. Carsten S. hatte seine Revision zurückgezogen und ist seit Mitte 2020 frei, nachdem der Rest seiner dreijährigen Jugendstrafe wegen Beihilfe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er hatte gestanden, dem NSU die Pistole übergeben zu haben, mit der später neun Morde begangen wurden.

Der Münchner Mammutprozess war am 11. Juli 2018 nach mehr als fünf Jahren und über 400 Verhandlungstagen zu Ende gegangen. Das Urteil, das seit Ende April 2020 schriftlich vorliegt, ist 3025 Seiten lang.

Weitere Aufklärung gefordert

Politikerinnen und Politiker äußerten sich erleichtert über die BGH-Entscheidung, forderten aber auch weitere Aufklärung. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sagte der dpa: „Den Hinterbliebenen der Mordopfer des NSU hilft die Bestätigung des Urteils gegen eine der Hauptverantwortlichen sicher, ihren inneren Frieden zu finden.“

Der FDP-Politiker Konstantin Kuhle forderte, die Sicherheitsbehörden müssten rechtsextreme Netzwerke stärker offenlegen. Irene Mihalic, innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, erklärte: „Bis heute wissen wir nicht, wie genau die unterstützende Struktur aussah, die hinter dem Terror-Trio des NSU stand.“. Die Linke-Abgeordnete Martina Renner sagte, nun müssten auch die neun weiteren beschuldigten Unterstützerinnen und Unterstützer des NSU angeklagt werden.

© dpa-infocom, dpa:210819-99-890773/9



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