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Krieg in der Ukraine: So ist die Lage

Wolodymyr Selenskyj fordert noch mehr Unterstützung vom Westen. Foto: Natacha Pisarenko/AP/dpa
Wolodymyr Selenskyj fordert noch mehr Unterstützung vom Westen. Foto: Natacha Pisarenko/AP/dpa

In der heftig umkämpften Stadt Sjewjerodonezk verharren wohl noch Hunderte Zivilisten in einem Chemiewerk. Russland will einen Fluchtkorridor einrichten. Doch es gibt einen Haken.

Kiew/Moskau (dpa) – Hunderte im Chemiewerk Azot eingekesselte Zivilisten sollen über einen Fluchtkorridor aus der schwer umkämpften ostukrainischen Stadt Sjewjerodonezk gelangen.

Doch der für Mittwoch von Russland angekündigte Weg soll nur in das von prorussischen Separatisten kontrollierte Gebiet führen, wie der Vertreter des russischen Verteidigungsministeriums, Michail Misinzew, am Dienstag klarmachte. Sjewjerodonezk steht weiter im Fokus der verlustreichen Kämpfe zwischen Russland und der Ukraine. Russland hatte das Nachbarland Ende Februar überfallen.

Unterdessen versucht die Bundesregierung die Folgen des Krieges für die Energieversorgung Deutschlands im Griff zu behalten. Mit Milliardenbeträgen will die Ampel-Koalition ein Schlüsselunternehmen für die Gasversorgung in Deutschland unterstützen: Gazprom Germania, das inzwischen unter staatlicher deutscher Kontrolle steht. Zudem drohen im Sommer deutlich geringere Gaslieferungen aus Russland.

Selenskyj: „Helft uns. Bitte“

Für den zähen Abwehrkampf seines Landes forderte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj deutlich mehr Unterstützung des Westens. „Wir müssen noch viel mehr gemeinsam tun, um diesen Krieg zu gewinnen“, sagte Selenskyj der „Zeit“ in einem Interview.

Auf die Frage, ob er sich von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die klare Formulierung wünsche, die Ukraine müsse den Krieg gewinnen, sagte er, Russlands Präsident Wladimir Putin hasse die Idee eines freien und vereinten Lebens in Europa, und seine Soldaten hielten dagegen. „Also sagt, was ihr wollt und wie ihr es wollt, aber helft uns. Bitte.“

Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron und Italiens Regierungschef Mario Draghi könnten schon Mitte der Woche die Ukraine besuchen. Eine offizielle Terminangabe steht aber aus.

Ukraine: Zivilisten im Chemiewerk Azot in Sjewjerodonezk

Nachdem die dritte und damit letzte Brücke der Stadt Sjewjerodonezk über den Fluss Síwerskyj Donez zerstört wurde, wachsen die Sorgen um die in der Stadt verbliebenen Zivilisten. Die Lage rund um das Chemiewerk Azot sei besonders schwer, sagte der Chef der städtischen Militärverwaltung, Olexander Strjuk, im ukrainischen Fernsehen.

Auf dem Werksgelände sollen in Bombenschutzkellern bis zu 560 Zivilisten ausharren. „Gewisse Vorräte wurden im Azot-Werk geschaffen“, sagte Strjuk. Zudem leisteten Polizisten und Militärs Hilfe. Das Gelände stehe aber unter ständigem Beschuss, die Straßenkämpfe dauerten an.

Die Situation in dem Werk erinnert an jene der Hafenstadt Mariupol im Südosten der Ukraine, wo sich im Asovstal-Werk ukrainische Soldaten und Zivilisten verschanzt hatten. Inzwischen ist die Stadt inklusive des Stahlwerks unter russischer Kontrolle.

Der von Russland für Mittwoch angekündigte Fluchtkorridor soll in nördliche Richtung in die Stadt Swatowe (Swatowo) im Gebiet Luhansk führen.

Neun bis zehn Milliarden Euro für Gazprom Germania

Der russische Energieriese Gazprom kündigte an, die maximalen Gasliefermengen durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 nach Deutschland um 40 Prozent zu reduzieren. Als Grund nannte Gazprom Verzögerungen bei Reparaturarbeiten durch die Firma Siemens. Für Deutschland ist Nord Stream 1 die Hauptversorgungsleitung mit russischem Gas.

Zugleich geriet nach Angaben der Bundesregierung das Unternehmen Gazprom Germania wegen russischer Sanktionen ins Straucheln. Aus Regierungskreisen hieß es, dass es nun mit einer Summe zwischen neun bis zehn Milliarden Euro gestützt werden soll. Geplant seien Hilfen über die staatliche Förderbank KfW. Der Bund übernimmt Garantien.

Die Gazprom Germania sei ein Schlüsselunternehmen für die Gasversorgung in Deutschland, erklärte die Bundesregierung. Der Bund hatte Anfang April über die Bundesnetzagentur die Kontrolle über die deutsche Tochter des russischen Staatskonzerns Gazprom übernommen.

Rund 812 Millionen Euro Spenden für Kriegsbetroffene

Das Schicksal der vom Krieg betroffenen Ukrainer löst bei den Deutschen eine hohe Spendenbereitschaft aus. Mindestens 812 Millionen Euro wurden seit Beginn des Krieges am 24. Februar gesammelt, wie das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) mitteilte.

Die Spendenaufkommen dürften demnach sogar noch höher liegen, da auch viele kleinere, bei der Erhebung nicht berücksichtigte Initiativen Geld gesammelt hätten. Dem Institut zufolge ist bereits jetzt nominal das höchste Spendenaufkommen seit Ende des Zweiten Weltkrieges für eine einzelne Katastrophe erreicht worden.

Bund rechnet mit langem Aufenthalt ukrainischer Flüchtlinge

Viele ukrainische Flüchtlinge werden nach Einschätzung der Bundesregierung wohl auch nach einem Ende des Kriegs vorerst in Deutschland bleiben. Das machten Innenministerin Nancy Faeser und Arbeitsminister Hubertus Heil (beide SPD) beim Besuch einer Einrichtung für Flüchtlinge in Berlin deutlich.

Faeser wies darauf hin, dass sich mehr als 850.000 Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland registriert hätten. Viele von ihnen seien wohl inzwischen wieder in ihre Heimat zurückgekehrt.

Nach Einschätzung Heils geschieht die Integration der Geflüchteten in Deutschland „mit großen Schritten“. Die Weichen entsprechend zu stellen, sei vernünftig. „Selbst wenn der Krieg bald zum Stillstand kommt und es Waffenstillstand gibt, wird die Zerstörung so heftig sein, dass eine Rückkehr vieler Menschen in kurzer Zeit nicht realistisch ist“, sagte Heil.

Bauern wollen mehr Getreide in Deutschland anbauen

Der Bauernverband dringt wegen knapperer weltweiter Getreidemengen infolge des Krieges in der Ukraine auf eine Produktionsausweitung auch in Deutschland. Bauernpräsident Joachim Rukwied sagte auf dem Bauerntag in Lübeck, Russland setze Lebensmittel als Waffe ein. „Dieses Schwert muss stumpfer werden, und wir können es stumpfer machen.“ So könnten mit einer vorübergehenden Nutzung zusätzlicher Flächen 1,4 Millionen Tonnen Weizen mehr erzeugt werden. Er erwarte von der Politik, dass sie dieses Instrument nutze.

© dpa-infocom, dpa:220614-99-654586/9


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