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Krieg in der Ukraine: So ist die Lage

Ein Mann fährt mit dem Fahrrad vor einem zerstörten Gebäude in Borodjanka am Stadtrand von Kiew. Foto: Natacha Pisarenko/AP/dpa
Ein Mann fährt mit dem Fahrrad vor einem zerstörten Gebäude in Borodjanka am Stadtrand von Kiew. Foto: Natacha Pisarenko/AP/dpa

Amnesty wirft Russland vor, in Charkiw Zivilisten mit Streumunition getötet zu haben. Hacker platzieren auf Seiten des russischen Staatsfernsehens eine Botschaft gegen den Krieg. Die Entwicklungen.

Kiew (dpa) – Die Ukraine dringt inmitten schwerer Kämpfe im Osten des Landes auf zusätzliche und schnellere Waffenlieferungen aus dem Westen. Präsident Wolodymyr Selenskyj bat nach russischen Raketenangriffen in der Nacht abermals um moderne Luftabwehr-Systeme.

Von dem laut einem Medienbericht anstehenden Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Kiew erhofft sich die Ukraine die Zusage zur sofortigen Lieferung deutscher Panzer.

„Ohne deutsche schwere Waffen wird es uns leider nicht gelingen, die gewaltige militärische Überlegenheit Russlands zu brechen und das Leben von Soldaten und Zivilisten zu retten“, sagte der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk der Deutschen Presse-Agentur. „Die Ukrainer erwarten, dass der Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem Besuch in Kiew ein neues Hilfspaket deutscher Rüstungsgüter verkünden wird, das unbedingt sofort lieferbare Leopard-1-Kampfpanzer sowie Marder-Schützenpanzer beinhalten soll.“

Selenskyj: Moderne Luftabwehr hätte Leben retten können

Seit der russischen Invasion im Februar seien ukrainische Städte von gut 2600 feindlichen Raketen getroffen worden, sagte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache am Sonntag. „Das sind Leben, die hätten gerettet werden können, Tragödien, die hätten verhindert werden können – wenn die Ukraine erhört worden wäre.“ Dabei habe das Land bereits vor dem Krieg um moderne Luftabwehr-Systeme gebeten, die schon vor Jahren hätten geliefert werden können, sagte Selenskyj.

In den umkämpften ostukrainischen Gebieten versuchten die russischen Truppen weiterhin, in Richtung von Städten wie Bachmut, Slowjansk und Lyssytschansk vorzustoßen, sagte Selenskyj. In der strategisch wichtigen Stadt Sjewjerodonezk werde „buchstäblich um jeden Meter gekämpft“. Nach Angaben vom Samstag kontrollierten ukrainische Truppen zu diesem Zeitpunkt rund ein Drittel der Stadt.

Klitschko pocht auf Unterstützung vor möglichem Scholz-Besuch

Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko hat hohe Erwartungen an einen möglichen Besuch von Kanzler Scholz in der ukrainischen Hauptstadt. Der „Bild am Sonntag“ zufolge plant der SPD-Politiker noch im Juni eine gemeinsame Reise mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi. „Wir brauchen von den drei Führern der wichtigsten Länder harte Unterstützungssanktionen und Waffen so schnell wie möglich“, sagte Klitschko der „Bild“.

Er gehe davon aus, dass die dramatische Lage der Ukraine durch einen Besuch deutlicher werden würde. „Ich glaube, man kann die Situation besser verstehen, wenn man Städte wie Butscha mit eigenen Augen gesehen hat“, sagte Klitschko. Er sieht auch die Hauptstadt weiter in Gefahr eines Angriffs durch Russland. „Kiew war ein Ziel und Kiew bleibt ein Ziel.“

Ukrainische Armee aus Zentrum von Sjewjerodonezk verdrängt

Die ukrainische Armee räumt den Verlust des Zentrums der schwer umkämpften Stadt Sjewjerodonezk im Osten des Landes ein. Russische Truppen hätten die Großstadt im Gebiet Luhansk mit Artillerie beschossen und die ukrainischen Soldaten vertrieben, teilte der ukrainische Generalstab am Montagmorgen mit. Die Kämpfe dauerten aber weiter an, hieß es.

Einige Stunden zuvor hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärt, im strategisch wichtigen Sjewjerodonezk werde „buchstäblich um jeden Meter gekämpft“. Am Samstag kontrollierten ukrainische Truppen eigenen Angaben zufolge noch rund ein Drittel der Stadt.

Sjewjerodonezk ist seit Tagen Zentrum der heftigen Kämpfe im Gebiet Luhansk, das russische und prorussische Kämpfer bereits zu mehr als 90 Prozent erobert haben. Beschossen wird in Sjewjerodonezk auch die Chemiefabrik Azot, in der ukrainischen Angaben zufolge weiter Zivilisten ausharren, die das Werksgelände als Luftschutzbunker nutzten.

Oberbefehlshaber: Front über 2400 Kilometer lang

Bei der Abwehr andauernder russischer Angriffe hat die ukrainische Armee eigenen Angaben zufolge inzwischen eine Front von etwa 2450 Kilometer zu verteidigen. „Davon werden an 1105 Kilometern aktive Kampfhandlungen geführt“, schrieb der Oberbefehlshaber Waleryj Saluschnyj in der Nacht zum Montag bei Facebook nach einem Gespräch mit dem US-General Mark Milley.

Besonders schwer sei die Situation um die Stadt Sjewjerodonezk im Luhansker Gebiet in der Ostukraine. Der Gegner habe dort sieben Bataillonsgruppen eingesetzt und eine zehnfache Feuerüberlegenheit. „Jeder Meter der ukrainischen Erde ist dort mit Blut durchtränkt – doch nicht nur mit unserem, sondern auch mit dem der Besatzer“, sagte Saluschnyj.

An einigen Frontabschnitten seien ukrainische Einheiten auch zu Gegenangriffen übergegangen. Zuletzt gab es Berichte über ukrainische Geländegewinne an der Grenze der südukrainischen Gebiete Mykolajiw und Cherson. Russland hatte die Ukraine Ende Februar überfallen.

London: Flussquerungen werden zentrale Rolle spielen

Nach Einschätzung britischer Geheimdienste dürften Flussquerungen in der kommenden Phase des Ukraine-Krieges eine entscheidende Rolle spielen. Ein zentraler Teil der russischen Frontlinie in der Donbass-Region liege westlich des Flusses Siwerski Donez, hieß es am Montag in einem Update des britischen Verteidigungsministeriums.

Um weitere Fortschritte im Donbass zu erzielen, müsse Russland daher entweder komplizierte Flankenangriffe durchführen oder Flussquerungen unternehmen. Bislang sei es den Russen oft nicht gelungen, unter Beschuss groß angelegte Überquerungen von Flüssen erfolgreich zu meistern. Die Ukrainer hätten es hingegen mehrfach geschafft, vor ihrem Rückzug Brücken zu zerstören.

Amnesty: Zahlreiche tote Zivilisten durch Streumunition

Russische Truppen haben nach Recherchen von Amnesty International durch den völkerrechtswidrigen Einsatz geächteter Streumunition zahlreiche Zivilisten im ostukrainischen Gebiet Charkiw getötet. „In Charkiw wurden Menschen in ihren Häusern und auf der Straße getötet, während sie mit ihren Kindern Spielplätze besuchten, auf Friedhöfen ihrer Angehörigen gedachten, beim Anstehen für Hilfslieferungen oder beim Einkaufen“, berichtete Janine Uhlmannsiek vom deutschen Ableger von Amnesty International.

Als Streumunition werden Raketen und Bomben bezeichnet, die noch in der Luft über dem Ziel zerbersten und eine Vielzahl kleiner Sprengkörper freisetzen.

Hacker bringen Kritik an Krieg auf russische TV-Webseiten

Unbekannte Hacker haben eine Botschaft gegen den Krieg in der Ukraine auf Webseiten des russischen Staatsfernsehens platziert. Auf dem Streaming-Portal „Smotrim.ru“ etwa stand am Sonntagabend neben Fotos von Zerstörung in der Ukraine der Text „Putin vernichtet Russen und Ukrainer! Stoppt den Krieg!“, wie Internet-Nutzer berichteten.

Das Staatsfernsehen räumte später eine Hacker-Attacke ein, durch die weniger als eine Stunde lang „Inhalte mit extremistischen Aufrufen“ angezeigt worden seien. Russland bezeichnet den Angriffskrieg in der Ukraine als „militärische Spezial-Operation“. Von der offiziellen Linie abweichende Darstellungen stehen als Verbreitung angeblicher Falschinformationen über russische Streitkräfte unter Strafe.

Das wird am Montag wichtig

Der Angriff auf die Ukraine wird ab Montag ein zentrales Thema bei der vierwöchigen Sitzung des UN-Menschenrechtsrats in Genf sein. Russland trat im Frühjahr aus dem Gremium aus – und kam seinem Rausschmiss damit wohl zuvor.

Außerdem wollen die Regierungschefs der ostdeutschen Länder bei ihrer turnusmäßigen Konferenz in Mecklenburg-Vorpommern unter anderem über eine sichere Energieversorgung und die extremen Kostensteigerungen für Verbraucher sprechen, die maßgeblich auf den Krieg zurückgehen.

© dpa-infocom, dpa:220613-99-642150/6

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