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„Zielgenaueres Durchgreifen“ – Ausreiseverbote aus Corona-Gebieten?

Zwei Mitarbeiterinnen vom Ordnungsamt kontrollieren die Marktstände in der Berliner Straße in der Innenstadt von Gütersloh. Foto: David Inderlied/dpa
Zwei Mitarbeiterinnen vom Ordnungsamt kontrollieren die Marktstände in der Berliner Straße in der Innenstadt von Gütersloh. Foto: David Inderlied/dpa

Bei Corona-Ausbrüchen will die Bundesregierung schneller und effektiver vorgehen: Bei künftigen Corona-Hotspots könnte auf ein regionales Ausreiseverbot aus einem betroffenen Gebiet gesetzt werden. Kritik kommt vom Gemeindebund.

Die Bundesregierung hat bestätigt, bei Corona-Ausbrüchen eine regionales Ausreiseverbot aus dem betroffenen Gebiet zu erwägen. „Ich finde, das ist jedenfalls ein Vorschlag, den man diskutieren sollte und für den ich werben würde“, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag nach ihrer Teilnahme an einer Sitzung des bayerischen Kabinetts.

Merkel sagte, wenn sich bei lokalen Ausbrüchen ergebe, dass sich die Infektionsketten in der Bevölkerung nicht so weit verbreitet hätten, wie am Anfang befürchtet, solle man die Gebiete mit Beschränkungen kleiner eingrenzen. „Das finde ich erstmal ein sehr vernünftiges Herangehen.“ Mit den Ländern werde nun diskutiert, wie man in einem solchen Fall mit Reisen in den Rest der Republik umgehe.

Söder betonte, Bayern sei beim starken Corona-Ausbruch im Landkreis Tirschenreuth ähnlich wie bei den nun diskutierten Ausreisebeschränkungen vorgegangen. Dies sei damals die einzige Chance gewesen, den Ausbruch auf Dauer unter Kontrolle zu bekommen.

Kanzleramt in Gesprächen mit Ländern

In einer Schaltkonferenz von Kanzleramtschef Helge Braun mit den Staatskanzlei-Chefs der Bundesländer hatte es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur einen ergebnisoffenen Meinungsaustausch über technische Anpassungen bestehender Regelungen gegeben. Beschlüsse gab es nach dpa-Informationen nicht. Die Gespräche sollen fortgesetzt werden.

„Darüber diskutieren wir als eine Maßnahme, ob das nicht am Ende eine bessere Variante ist, als wenn man am Urlaubsort ankommt, um dann zurückgewiesen zu werden“, hatte zuvor Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) in der RTL/ntv-Sendung Frühstart über seine Gespräche zu Ausreiseverboten aus Corona-Gebieten mit den Chefs der Staatskanzleien der Länder berichtet.

Die Frage sei, ob es im Falle einer unklaren Infektionssituation nicht sinnvoller sei zu sagen: „Es bleiben hier in dieser Region mal alle zuhause, möglichst präzise gefasst, da wo man auch wirklich Ausbruchssorgen hat, um dann dort so flächig zu testen, dass man nach wenigen Tagen sagen kann, wir haben alle Infektionsketten entdeckt“, erklärte der CDU-Politiker.

Danach könne man „schnell wieder zur Normalität“ übergehen und habe „damit wirklich sehr vollständig die Infektionen erfasst“. Es gehe darum, „wie man dieses Verfahren, wenn ein Hotspot plötzlich auftaucht, nochmal optimieren kann, damit wir sehr präzise und möglichst schnell reagieren“.

Anfang Mai hatten Bund und Länder vereinbart, dass Beschränkungen erlassen werden, wenn in einem Kreis binnen sieben Tagen die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner über 50 steigt.

Zuletzt hatten mehr als 1.000 positiv getestete Mitarbeiter des Fleischverarbeiters Tönnies in Nordrhein-Westfalen zu regionalen Einschränkungen im öffentlichen Leben in den Kreisen Gütersloh und Warendorf geführt.

Betroffen waren zeitweise rund 640.000 Einwohner. Mehrere Bundesländer verhängten Beherbergungsverbote für Menschen aus beiden Kreisen. Inzwischen sind die Auflagen in beiden Kreisen wieder aufgehoben.

Zum Umgang mit Reisenden aus Risikogebieten haben sich Bund und Länder zuletzt am 26. Juni auf eine Linie verständigt. Danach sollen Reisende aus Corona-Risikogebieten nur dann in Hotels oder Ferienwohnungen aufgenommen werden oder ohne Quarantäne einreisen dürfen, wenn sie ein negatives Testergebnis vorlegen können, das höchstens zwei Tage alt ist. Eine Ausnahme bildet Thüringen: Der Freistaat verhängte kein Einreise- oder Beherbergungsverbot.

Kritik von Städte- und Gemeindebund

Der Städte- und Gemeindebund hält bei regionalen Corona-Ausbrüchen Ausreisebeschränkungen für ganze Landkreise für nicht durchsetzbar. Gemeindebund-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg sagte am Dienstag im ZDF: „Sie müssten ja im Prinzip dann kontrollieren, wer reist aus dem Kreis aus – und sie wissen, wie groß Kreise sind -, das stelle ich mir fast unmöglich vor.“

Landsberg befand aber auch: „Richtig ist ja, regionale Ausbrüche gezielt zu bekämpfen.“ Und der Gemeindebund-Hauptgeschäftsführer fügte hinzu: „Vielleicht muss man noch kleinteiliger da ‚rangehen.“

Der Präsident des Deutschen Landkreistags, Reinhard Sager, erklärte in der Diskussion um Ausreiseverbote für einzelne Gebiete, dass die Kreise Gütersloh und Warendorf gezeigt hätten, dass man örtlich begrenzte Corona-Ausbrüche gut in den Griff bekommen könne. Kreisweite Lockdowns und Schritte wie Ausreiseverbote sollten nur erwogen werden, wenn andere Möglichkeiten ausgeschöpft seien. Sager betonte: „Es geht eher um chirurgische Präzision als um den Holzhammer.“

Aus Sicht der schleswig-holsteinischen Landesregierung sollten regionale Ausbrüche räumlich differenzierter betrachtet werden und nicht nur auf Kreisebene. Dabei seien Ausreisebeschränkungen aus solchen Gebieten besser und sinnvoller als Beherbergungsverbote oder Quarantänelösungen, sagte Staatskanzleichef Dirk Schrödter der Deutschen Presse-Agentur. Schrödter zeigte sich zuversichtlich, dass sich Bund und Länder verständigen werden.

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