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Israel: Keine Entscheidung zu Annexionen

Mit US-Vertretern habe er «über die Frage der Souveränität gesprochen, an der wir in diesen Tagen arbeiten, und an der wir in den kommenden Tagen weiter arbeiten werden», sagt Regierungschef Benjamin Netanjahu. Foto: Abir Sultan/POOL EPA/AP/dpa
Mit US-Vertretern habe er «über die Frage der Souveränität gesprochen, an der wir in diesen Tagen arbeiten, und an der wir in den kommenden Tagen weiter arbeiten werden», sagt Regierungschef Benjamin Netanjahu. Foto: Abir Sultan/POOL EPA/AP/dpa

Für den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu war Mittwoch ein erster Stichtag für eine „historische Möglichkeit“, wie er die möglichen Annexionen bezeichnet. Doch sein Vorstoß muss vorerst noch warten. Dabei drängt für ihn die Zeit.

Im Konflikt um mögliche Annexionen von Teilen des besetzten Westjordanlands durch das zu den Atommächten gehörende Israel hat die israelische Regierung eine Entscheidung über die Umsetzung der umstrittenen Pläne aufgeschoben.

Wie ein Mitarbeiter des Büros von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Mittwoch sagte, werden die Beratungen zu einer Annexion in den kommenden Tagen fortgeführt. Eine Entscheidung über erste Annexionsschritte – die Israel auch von der Regierung in Washington abhängig macht – war an diesem mit Spannung erwarteten Stichtag damit nicht mehr zu erwarten.

Der Koalitionsvertrag der israelischen Regierungsparteien sah für den 1. Juli erstmals die Möglichkeit dafür vor, doch es gab zuletzt unter anderem intern Unstimmigkeiten über das weitere Vorgehen. Der Deutsche Bundestag rief die israelische Regierung indes auf, ganz von den Plänen abzusehen.

Im Gazastreifen protestierten derweil Tausende gegen die Pläne Israels. Viele Beobachter sorgen sich, dass einseitige Schritte Israels Gewalt nach sich ziehen könnten. Auch eine Destabilisierung der Region wird befürchtet. Der bewaffnete Arm der im Gazastreifen herrschenden Hamas hatte eine Entscheidung für eine Annexion als Kriegserklärung bezeichnet. Militante Palästinenser hatten am Mittwoch zu einem „Tag des Zorns“ aufgerufen.

US-Zustimmung noch offen

„In der Frage der Souveränität: Ministerpräsident Benjamin Netanjahu setzt die Gespräche mit den Amerikanern fort und hat parallel dazu heute mit dem Chef des Nationalen Sicherheitsrats und der Militär- und Verteidigungsspitze gesprochen, dies im Rahmen einer Reihe von Beratungen zu dem Thema. In den kommenden Tagen wird es weitere Gespräche geben“, sagte der Mitarbeiter des Netanjahu-Büros mit Blick auf mögliche Annexionen durch Israel.

Nach Angaben des israelischen Ministers für regionale Zusammenarbeit, Ofir Akunis, fehlte die „volle Zustimmung der US-Regierung“ für den Start der Pläne. „Die Ausweitung der Souveränität wird im Juli passieren, aber nicht vor einer Erklärung des US-Präsidenten Trump“, sagte Akunis.

Ein US-Team hatte in den vergangenen Tagen mit israelischen Spitzenpolitikern über die Pläne beraten. Zu Ergebnissen wurde nichts bekannt. Aus dem Weißen Haus hieß es auf Anfrage, ob sich Trump in der Angelegenheit äußern werde, es gebe „kein Update“ und derzeit nichts zu verkünden.

US-Plan umstritten

Israel dient als Grundlage für eine Annexion ein US-Plan. Dieser sieht vor, dass Israel sich rund 30 Prozent des 1967 im Sechstagekrieg eroberten Westjordanlands einverleiben kann. Die restlichen 70 Prozent sollen Teil eines Palästinenserstaates werden, allerdings unter strengen Auflagen. Die Palästinenser lehnen den Plan entschieden ab, aus ihrer Sicht wird Israel bevorzugt.

Auch international ist der Plan höchst umstritten. Die EU und Deutschland etwa kritisieren ihn als völkerrechtswidrig. Der Bundestag billigte am Mittwoch einen Antrag von CDU/CSU und SPD, in dem es heißt, dass die angekündigte Annexion von Teilen des Westjordanlandes durch Israel und der dortige Ausbau jüdischer Siedlungen „im Widerspruch zu internationalem Recht“ stünden.

Für die Bundesregierung wird die Frage der Annexion ganz oben auf der Agenda bleiben. Sie übernahm am Mittwoch die EU-Ratspräsidentschaft. Auch Heiko Maas hatte vor einigen Wochen beim Besuch in Israel mit Blick auf mögliche Annexionen „freundschaftliche Kritik“ geübt.

Benjamin Netanjahu hatte den Plan bei dessen Vorstellung Ende Januar noch als „Deal des Jahrhunderts“ gefeiert und von einer „historischen Möglichkeit“ gesprochen. Wiederholt drang er in der Annexionsfrage auf ein entschiedenes Vorgehen durch Israel.

Doch sein Juniorpartner in der großen Koalition, Verteidigungsminister Benny Gantz, bremste zuletzt. Er machte deutlich, dass für ihn der sich wieder zuspitzende Kampf gegen das Coronavirus vorerst Vorrang hat. Die US-Regierung hatte jedoch bislang Einmütigkeit der israelischen Spitzenpolitiker als Voraussetzung für ihre Unterstützung der Pläne gemacht.

Streit in Trump-Regierung?

Überhaupt ist es in Washington um den „Nahost-Friedensplan“ seit dessen Vorstellung äußerst ruhig geworden. Das hat zum einen innenpolitische Gründe wie das Amtsenthebungsverfahren gegen Trump, die Corona-Krise oder die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt.

Hinter den Kulissen scheint es aber gerumpelt zu haben. Die Trump-Regierung scheine gespalten zu sein, schreibt Khaled Elgindy von der Denkfabrik Middle East Institute. Differenzen gibt es demnach vor allem zwischen zwei Vertrauten Trumps: seinem Schwiegersohn und Hauptautoren des Nahost-Plans, Jared Kushner, sowie dem US-Botschafter in Israel, David Friedman.

Die New York Times schrieb kürzlich, Kushners Strategie sei es gewesen, die Palästinenser mit einer Annexionsdrohung für seinen Plan zu gewinnen. Mit einem einseitigen Schritt Israels würde dieses Druckmittel wegfallen. Friedman dagegen sehe die Gefahr, dass die Annexion gänzlich ausbleibe, sollte sie sich bis nach der US-Wahl im November verzögern.

Trumps designierter Herausforderer Joe Biden lehnt eine Annexion palästinensischer Gebiete ab. Friedman liegt damit auf einer Linie mit Netanjahu. Experten meinen, der 70-Jährige sehe die Annexion als Teil seines politischen Vermächtnisses. Inwieweit Washington am Ende mögliche Annexionen durch Israelöffentlich unterstützen wird, bleibt abzuwarten.

© dpa-infocom, dpa:200701-99-627173/4

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