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Schwerer Fall von Kindesmissbrauch: Festnahmen in Münster

Ein Polizeibeamter steht vor der Gartenlaube in Münster, wo der vermutliche Haupttäter Teile seiner Server-Anlage unterbrachte. Foto: Guido Kirchner/dpa
Ein Polizeibeamter steht vor der Gartenlaube in Münster, wo der vermutliche Haupttäter Teile seiner Server-Anlage unterbrachte. Foto: Guido Kirchner/dpa

Schwerer Missbrauch kleiner Kinder, Täter in mehreren Bundesländern und große Mengen technisch verschlüsselter Videoaufnahmen: Ermittler in Nordrhein-Westfalen haben ein Pädophilen-Netz aufgedeckt und bundesweit elf Verdächtigte festgenommen. Was sie entdeckt haben, entsetzt die Ermittler.

In einem neuen, mehrere Bundesländer umfassenden schweren Fall von Kindesmissbrauch hat die Polizei in Münster elf Verdächtige festgenommen. Die schockierenden Taten haben die Ermittler fassungslos zurückgelassen, die von den Verdächtigen benutzte hochprofessionelle Technik brachte die Polizei an ihre Grenzen.

Sieben Beschuldigte befinden sich in Untersuchungshaft, wie Polizei und Staatsanwaltschaft in Münster mitteilten. Darunter ist auch die Mutter des Hauptbeschuldigten, die als Erzieherin in einem Kindergarten gearbeitet hat. Ihre Gartenlaube in Münster gilt als Haupttatort.

Bisher sind drei Kinder als Opfer identifiziert worden. Die Jungen sind nach Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft fünf, zehn und zwölf Jahre alt. Sie sollen teilweise stundenlang von mehreren Männern sexuell missbraucht worden sein – in einem Fall vom eigenen Vater, in einem anderem vom Lebensgefährten der Mutter.

Der Hauptbeschuldigte ist ein 27-Jähriger aus Münster. Ermittler fanden hochprofessionelle technische Ausstattung zur Videoaufzeichnung. Sie stellten mehr als 500 Terabyte versiert verschlüsselten Materials sicher. Nach der Auswertung der ersten Daten gehen Polizei und Staatsanwaltschaft davon aus, dass bislang nur ein kleiner Teil der mutmaßlichen Verbrechen bekannt geworden ist.

„Viele der Daten müssen noch entschlüsselt werden“, so die dpa, die anfügt: „Um die Dimensionen zu verdeutlichen: Handelsübliche Computer für den Heimgebrauch haben Speicherplatten mit einer Größe von 1 bis 3 Terabyte.“

Am Sonntag wurde bekannt: Die Mutter des Verdächtigen soll bis zu ihrer Festnahme als Erzieherin gearbeitet haben. „Die Leitung der Kita wurde von uns informiert“, sagte Oberstaatsanwalt Martin Botzenhardt der Deutschen Presse-Agentur. Derzeit gebe es aber keine Hinweise auf Taten der 45-Jährigen im Kindergarten. Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) hatte zuvor über den Arbeitsplatz der Frau berichtet.

Nur die Spitze des Eisbergs

Das bisherige Ermittlungsergebnis nach rund dreieinhalb Wochen sei wohl nur die Spitze des Eisbergs, sagten am Samstag übereinstimmend der Leiter der Ermittlungen, Joachim Poll, und Oberstaatsanwalt Botzenhardt.

Die Ermittler hätten „unfassbare“ Bilder sehen müssen, so Poll. Münsters Polizeipräsident Rainer Furth sagte: „Selbst die erfahrensten Kriminalbeamten sind an die Grenzen des menschlich Erträglichen gestoßen und weit darüber hinaus.“

In der Gartenlaube in Münster sollen vier Männer stundenlang wechselweise einen fünf- und einen zehnjährigen Jungen vergewaltigt und die Taten teilweise gefilmt haben. Der 27-jährige Hauptverdächtige soll dazu den Männern den zehnjährigen Sohn seiner Lebensgefährtin überlassen haben.

Das zweite Opfer war den Angaben zufolge der Sohn eines 30 Jahre alten Beschuldigten aus Staufenberg (Hessen). Die Kinder sollen vor den Taten betäubt worden sein. Bilder und Videos der Taten bot der Hauptverdächtige im Darknet an.

Bei den weiteren Beschuldigten, gegen die Haftbefehl erlassen wurde, handelt es sich den Angaben zufolge um Männer aus Hannover (35 Jahre alt), Schorfheide in Brandenburg (42), Kassel (43) und Köln (41) sowie die 45 Jahre alte Mutter des Hauptverdächtigen. Sie ist demnach Nutzerin der Gartenlaube im Stadtteil Kinderhaus, soll ihrem Sohn die Schlüssel überlassen und den sexuellen Missbrauch der Kinder in Kauf genommen haben.

Noch nicht alle Daten entschlüsselt

In einem Objekt habe man einen komplett eingerichteten, klimatisierten Serverraum gefunden, berichtet die Polizei Münster in einer Pressemitteilung über den Kindesmissbrauch. Er sei dem 27-jährigen Tatverdächtigen zuzurechnen, einem IT-Techniker, sagte Poll.

Das Speichervolumen der sichergestellten Daten liege nach ersten Erkenntnissen bei über 500 Terrabyte. Poll sprach von mehreren Hundert Asservaten an gefundener IT-Technik. Die Datenträger seien hochprofessionell verschlüsselt worden.

Den Ermittlern sei es bis heute nicht gelungen, alle Daten zu entschlüsseln. Poll sprach von aufwendigen, kniffligen und mit viel Technik verbundenen Ermittlungen. Der 27-Jährige aus Münster sei in einem landwirtschaftlichen Betrieb im Kreis Coesfeld für die IT-Technik tätig gewesen.

Ausgangspunkt der Ermittlungen hinsichtlich Kindesmissbrauch in Münster sei ein Verfahren aus dem Jahr 2018 gewesen; damals habe eine unbekannte Person Daten mit Kinderpornografie übers Internet angeboten. Über eine ermittelte IP-Adresse habe die Spur zu dem landwirtschaftlichen Betrieb geführt.

Welle der Bestürzung

Der Fall von Kindesmissbrauch in Münster löste eine Welle der Bestürzung aus. „Diese furchtbaren Missbrauchsfälle von Münster erschüttern mich zutiefst“, sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) der Deutschen Presse-Agentur. Sie zeigten ein weiteres Mal, „wie widerwärtig menschliche Abgründe sein können“.

Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe reagierte ebenfalls bestürzt. „Ich bin erschrocken, dass unsere Stadt offenbar Schauplatz solch schrecklicher Taten war“, teilte der CDU-Politiker mit. Unsere Aufmerksamkeit und unsere Gedanken sind bei der Kindern, die nun in sicheren Einrichtungen sind und dort umfassende professionelle Hilfe bekomme

Unterdessen wurde bekannt, dass das Jugendamt der Stadt Münster Kontakt zu der Familie von einem der Opfer hatte. Die Familie sei den Behörden aus den Jahren 2015 bis 2016 bekannt, „weil der soziale Kindsvater wegen des Besitzes und des Vertriebs pornografischer Daten aufgefallen war“, teilte die Stadt am Samstag mit.

In dieser Zeit habe das Jugendamt Kontakt zu der Familie gehabt. 2015 habe das Familiengericht keinen Anlass gesehen, das Kind aus der elterlichen Verantwortung zu nehmen. Oberbürgermeister Lewe sagte dazu: „Eine Bewertung können wir erst vornehmen, wenn die Faktenlage dafür ausreichend geklärt ist.“

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter forderte nach Bekanntwerden des Missbrauchsfalls eine deutlich verbesserte personelle und technische Ausstattung bei der Polizei. „In einem solchen Fall stellen wir beim Blick in die kriminalpolizeiliche Praxis fest, dass wir über unsere Grenzen hinaus kommen“, sagte Sebastian Fiedler im WDR-Fernsehen.

Er lobte, dass Innenminister Reul das Thema Kindesmissbrauch zur Chefsache erklärt habe. „Es reicht aber nicht aus, mit kleinen Schritten voranzugehen was die Ausstattung und was die Qualifikation angeht.“ Jetzt seien riesengroße Schritte notwendig. Ein Plus an Experten wie IT-Techniker für Verschlüsselungstechnik oder Leute, die sich mit Opferanhörung auskennen, sei notwendig.

2019: Fall in Lügde

Nordrhein-Westfalen war seit Anfang 2019 wegen mehrerer Fälle von schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern in die Schlagzeilen geraten. Auf einem Nordrhein-Westfalen war seit Anfang 2019 wegen mehrerer Fälle von schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern in die Schlagzeilen geraten.

Auf einem Campingplatz in Lügde im Kreis Lippe hatten mehrere Männer Kinder hundertfach über Jahre schwer sexuell missbraucht. Ermittlungen zu einem bundesweiten Kinderpornografie-Tauschring hatten im Oktober 2019 in Bergisch Gladbach bei Köln begonnen und erstrecken sich mittlerweile auf sämtliche Bundesländer.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte nach dem Fall Lügde das Thema Kindesmissbrauch zur Chefsache erklärt und die Arbeit der Ermittlungsbehörden in diesem Bereich verstärkt. Zuletzt hatte zudem ein erneuter Zeugenaufruf im Fall Maddie die mediale Aufmerksamkeit erregt.

weitere Informationen:
➡️ Pressemeldung der Polizei Münster
➡️ Pressemeldung der Stadt Münster

Video: Statement von Münster OB Markus Lewe

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