Gesellschaft Verbrechen

Justizministerium: Sexualisierte Gewalt statt Missbrauch

"Kein Täter darf sich vor Entdeckung sicher fühlen": Christine Lambrecht. Foto: Wolfgang Kumm/dpa
"Kein Täter darf sich vor Entdeckung sicher fühlen": Christine Lambrecht. Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Ein schrecklicher Fall nach dem anderen wird bekannt, seit NRW im Kampf gegen sexualisierte Gewalt – wie Missbrauch aus Sicht des Justizministeriums genannt werden soll – an Kindern Tempo macht. Die Dimensionen sind erschreckend, die Strafen sollen verschärft werden.

Die Verbreitung von Kinderpornografie soll ein Verbrechen werden – mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. Auch für sexualisierte Gewalt an Kindern – von dem fortan anstatt von Missbrauch gesprochen werden soll – plant Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) empfindlichere Strafen, wie sie in Berlin erklärte.

„Kein Täter darf sich vor Entdeckung sicher fühlen. Der Verfolgungsdruck muss deshalb massiv erhöht werden“, forderte sie. Die Debatte um härtere Strafen war durch den Missbrauchsfall in Münster mit mittlerweile 21 Verdächtigen neu angefacht worden, zuletzt wurde bekannt, das im Komplex Bergisch Gladbach 30.000 Spuren zu Verdächtigen gefunden wurden.

Lambrecht hatte solche Forderungen aus der Union zunächst zurückgewiesen und stattdessen eine bessere Ausstattung für Ermittler gefordert, ihren Kurs aber nach anhaltender Kritik geändert und stellte nun ein Reformpaket vor.

Die Vorschläge im Detail:

„Sexualisierte Gewalt“ statt „Missbrauch“

Im Strafgesetzbuch soll künftig „Sexualisierte Gewalt gegen Kinder“ stehen anstatt wie bislang „Sexueller Missbrauch von Kindern“. Zur Begründung heißt es im Konzept: „Die Wortwahl «Missbrauch» ist unangebracht, da sie suggeriert, es gebe auch einen legalen «Gebrauch» von Kindern. Wir wollen künftig klare Begriffe verwenden: Es geht um sexualisierte Gewalt, die sich gegen Kinder richtet.“

Verbreitung und Besitz von Kinderpornografie

Sowohl die Verbreitung wie auch der Besitz von Kinderpornografie sollen juristisch in den Bereich der Straftaten gehoben werden, statt wie bislang nur Vergehen, was höhere Mindeststrafen mit sich bringt.

Wer solche Bilder und Videos verbreitet, soll künftig ein bis zehn Jahre ins Gefängnis müssen, statt bislang drei Monate bis fünf Jahre. Wer solches Material besitzt, dem sollen künftig ein bis fünf Jahre Haft drohen, statt bisher eine Geldstrafe oder bis zu drei Jahre Haft.

Auf gewerbs- oder bandenmäßige Verbreitung sollen mindestens zwei Jahre im Gefängnis stehen. Bandenmäßig bedeutet, dass die Tat fortgesetzt und als Teil einer Gruppe geschieht.

Sexueller Missbrauch von Kindern

Der sexuelle Missbrauch von – oder neu die sexualisierte Gewalt gegen – Kinder soll ebenfalls zum Verbrechen hochgestuft werden, zudem soll der Strafrahmen von bisher sechs Monaten bis zehn Jahren Gefängnis auf ein bis fünfzehn Jahre steigen.

Eine Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit oder gegen Auflagen wäre ausgeschlossen. Bei schwerer sexualisierter Gewalt sollen Beschuldigte auch dann in Untersuchungshaft genommen werden können, wenn keine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr vorliegt.

Einvernehmlicher Sex unter jungen Menschen

Für einvernehmlichen Sex unter jungen Menschen im annähernd gleichen Alter plant Lambrecht eine Sonderregelung, die im Einzelfall einen Verzicht auf Strafverfolgung möglich machen soll. „Auf gleichrangige Interaktionen zwischen jungen Menschen, die Teil der sexuellen Entwicklung sind, soll nicht unverhältnismäßig reagiert werden“, heißt es dazu im Konzept.

Anbieten von Kindern

Wer Kinder für sexuelle Gewalttaten anbietet oder sich dazu verabredet, soll eine Freiheitsstrafe von nicht weniger als einem Jahr bekommen (bisher drei Monate bis fünf Jahre).

Sexueller Missbrauch ohne Körperkontakt

Auch für sexuellen Missbrauch ohne Körperkontakt – etwa sexuelle Handlungen vor einem Kind – sollen härtere Strafen drohen (statt Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren künftig sechs Monate bis zehn Jahren).

Auch wer nur vermeintlich einem Kind pornografische Bilder oder Filme zeigt, soll sich strafbar machen. Das soll Fälle abdecken, in denen der Empfänger am Handy oder Computer ein Erwachsener ist, der sich als Kind ausgibt, zum Beispiel ein Elternteil oder ein Ermittler.

Erweitertes Führungszeugnis

Die Fristen für die Aufnahme von Verurteilungen in das erweiterte Führungszeugnis, das für den ehrenamtlichen oder beruflichen Umgang mit Minderjährigen erforderlich ist, will Lambrecht verlängern.

Schulung für Richter, mehr Personal und unabhängige Beauftragte

Familienrichter sollen nach dem Willen Lambrechts künftig psychologische und pädagogische Grundkenntnisse haben oder sich entsprechend fortbilden. Richter und Staatsanwälte an Jugendgerichten sollen besonders qualifiziert werden für den Umgang mit Kindern, die als Zeugen befragt werden.

Lambrecht will sich zudem in den Ländern und innerhalb der Bundesregierung dafür einsetzen, dass Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden mehr Geld und Personal bekommen. Die Ministerin will auch dafür werben, dass unahängige Beauftragte zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder ernannt werden.

Nächste Schritte

Auf Grundlage des vorgestellten Konzepts wird Lambrechts Ministerium nun einen Gesetzentwurf ausarbeiten. Dieser muss vom Kabinett und dem Bundestag angenommen werden. Im Bundesrat steht das Thema an diesem Freitag ebenfalls auf der Tagesordnung: Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern bringen dort Vorschläge für härtere Strafen ein, Baden-Württemberg will die unbegrenzte Aufnahme von Sexualdelikten im Führungszeugnis erreichen.

NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) sprach mit Blick auf Gewalt gegen Kinder und deren Darstellung von einem „widerwärtigen Sumpf“, der trockengelegt werden müsse. „Mit der Bundesratsinitiative möchten wir klarstellen, dass Straftaten, die den sexuellen Missbrauch von Kindern betreffen, dementsprechend immer als Verbrechen geahndet werden müssen. Es darf auch grundsätzlich keine Bewährungsstrafe geben, wenn sich jemand an der Vergewaltigung von Kindern beteiligt.“

© dpa-infocom, dpa:200701-99-634138/4

weiterführende Informationen:
➡️ Informationen des Justizministeriums zum Reformpaket

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