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Halle-Attentat: Richterin lässt an zweitem Prozesstag Video der Tat zeigen

Der angeklagte Halle-Attentäter Stephan B. (3.v.l.). Foto: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa
Der angeklagte Halle-Attentäter Stephan B. (3.v.l.). Foto: Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa

Der zweite Prozesstag nach dem Attentat auf die Synagoge in Halle widmete sich dem Video, das der Attentäter von der Tat drehte. Während die Nebenkläger teils den Saal verlassen, befremdet der Angeklagte mit seiner Reaktion.

Trauer und Wut bei den Hinterbliebenen – ein breites Grinsen beim Angeklagten: Das Video, das der Terrorist vom Attentat in Halle während der Tat ins Internet gestreamt hat, wurde am zweiten Prozesstag vor Gericht abgespielt.

Einige Nebenkläger, Verletzte und Hinterbliebene verließen am Mittwoch den Raum, während Richterin Ursula Mertens das gut halbstündige Video vorspielen ließ. Betroffene hielten sich die Augen zu, schauten weg oder hielten die Hand ihrer Sitznachbarn und Anwälte.

Stephan B. lächelte zunächst als er auf den Monitor blickte. Die Nebenklage machte einen im Saal sitzenden psychologischen Gutachter auf seine Reaktion aufmerksam. „Ich habe über ein, zwei Sachen schmunzeln müssen, dämliche Witze, nicht mehr“, sagt der 28-Jährige später.

Keine Reue bei Angeklagten zu sehen

Überhaupt wirkte der Beschuldigte am zweiten Verhandlungstag gut gelaunt. In Pausen plauderte er grinsend mit seinen Verteidigern oder ließ seine Blicke durch die Reihen der Nebenkläger schweifen. Auch der Hinweis der Bundesanwaltschaft, dass er womöglich den Rest seiner Tage hinter Gittern verbringen wird, brachte ihn augenscheinlich nicht aus der Ruhe.

Am ersten Prozesstag hatte er eingeräumt, schwer bewaffnet versucht zu haben, ein Massaker in der Synagoge von Halle anzurichten. Auch die weiteren Taten gab er zu. Reue zeigte der Sachsen-Anhalter bislang nicht.

Die Synagoge anzugreifen, sei kein Fehler gewesen, so der 28-Jährige. „Das sind meine Feinde.“ Das einzige, was er zu bedauern scheint, ist, dass die beiden Menschen, die er tötete weder Muslime noch Ausländer waren. Sie seien nicht seine „Feinde“ gewesen, so der Angeklagte.

Der 28-Jährige versucht, dem Gericht zu erklären, woran er gescheitert ist und warum er in bestimmten Situationen so gehandelt hat, wie er gehandelt hat. Das wurde schon am ersten Verhandlungstag deutlich, als er seine Gedanken beschrieb nach dem gescheiterten Anschlag auf die Synagoge: „Jetzt hab ich mich global lächerlich gemacht.“

Stephan B. geht es offensichtlich nicht darum, sich zu entschuldigen oder gar die Tat zu leugnen. Selbstkritisch ist er hingegen bei den technischen Pannen seines Anschlags. So gab es bei seinen selbst gebauten Waffen beispielsweise Ladehemmungen – was vermutlich zahlreichen Menschen das Leben rettete.

Die Bundesanwaltschaft wirft dem geständigen 28-Jährigen vor, „aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens“ geplant zu haben. Am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur hat er schwer bewaffnet versucht, die Synagoge in Halle zu stürmen.

Laut Anklage wollte er möglichst viele der 52 Besucher der Synagoge töten. Als er sich keinen Zutritt verschaffen konnte, tötete er eine Passantin vor der Synagoge und einen Mann in einem Dönerimbiss. Weitere Menschen verletzte er bei der Flucht. 13 Straftaten werden dem Angeklagten angelastet, darunter Mord und versuchter Mord.

Befragung durch Anwälte der 43 Nebenkläger

43 Nebenkläger wurden bis Prozessbeginn zugelassen. Die Zahl erhöht sich voraussichtlich noch. Am Mittwoch wurde bekannt, dass ein Ehepaar, das sich zum Zeitpunkt des Anschlags in der Synagoge befand, als Nebenkläger gelistet werden will.

Nach der Sichtung des Video des Attentat in Halle durften – nach einer Befragung durch die beiden Vertreter der Bundesanwaltschaft – erstmals die Anwälte der Hinterbliebenen und Überlebenden des rechtsterroristischen Anschlags Stephan B. befragen.

Mehrmals irritierten sie diesen, vor allem mit persönlichen Fragen und indem sie ihn immer wieder mit seinen eigenen Einlassungen konfrontierten. Auch bei ihren Fragen reagierte der Angeklagte immer wieder flapsig und kicherte. Mehrfach ermahnten die Nebenklägervertreter ihn, ernst zu bleiben. „Ich stelle Fragen, Sie antworten, oder Sie antworten nicht, aber spielen Sie keine Spielchen!“, meinte etwa einer der Juristen.

Mehrfach kündigte der 28-Jährige an, keine weiteren Fragen mehr zu beantworten. Vor allem Fragen über sein früheres Leben und familiäres Umfeld waren dem Beschuldigten augenscheinlich unangenehm. Seine Familie leide sehr unter dem, was er gemacht habe, sagte der Angeklagte in einer seiner seltenen ernsten Antworten.

Belastend für Angehörige

Eine der Nebenklägerinnen sagte am Rande der Verhandlung, das Verhalten des Angeklagten mache sie aggressiv. Zum Abbau von Aggressionen erwäge sie ernsthaft, das Gericht zu bitten, im Aufenthaltsbereich einen Boxsack aufzuhängen. Andere reagierten auf das Verhalten des 28-Jährigen ruhiger, eher traurig als wütend.

Für Betroffene stehen während des Verfahrens auch sechs Betreuer bereit. „Wir wollen Ängste und Unsicherheiten nehmen“, sagte die zuständige Referatsleiterin im Justizministerium, Manuela Naujock. In erster Linie seien sie für die Verletzten und Hinterbliebenen des Anschlags da.

Die wurden durch das Video vom Attentat in Halle sehr plastisch daran erinnert, wie an Jom Kippur ein Terrorist einen ihrer Angehörigen getötet hat oder sie selbst töten wollte. Naujock sagte: „Viele haben das Video zum ersten Mal gesehen.“

Das Oberlandesgericht hat zunächst Verhandlungstage bis Mitte Oktober geplant. Wegen des großen öffentlichen Interesses und aus Sicherheitsgründen erfolgt die Verhandlung im größten Verhandlungssaal Sachsen-Anhalts am Landgericht Magdeburg. Bislang sind 147 Zeugen benannt, darunter 68 Ermittlungsbeamte. Der Prozess soll nächste Woche Dienstag fortgesetzt werden.

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Halle-Attentat: Bericht 1. Prozesstag

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