Dutzende festhängende Sattelzüge, eine Befreiungsaktion aus einer Schwebebahn und massive Behinderungen im Bahnverkehr: Der erwartete heftige Schneesturm hat besonders in Teilen Deutschlands mitunter für Verkehrschaos gesorgt.
Es fielen mancherorts mehr als 30 Zentimeter Schnee, dazu kamen meterhohe Verwehungen. Polizei und Feuerwehr fuhren zahllose Einsätze. Bei der Bahn gab es in Regional- und Fernverkehr große Einschränkungen. Auch Fußballspiele wurden abgesagt. Und nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes war es das noch nicht.
Der DWD in Offenbach betonte am Sonntagvormittag, der Schneesturm sei noch nicht vorbei. „Hotspots sind der Niederrhein, das Münsterland, Ostwestfalen, das nördliche Thüringen, das südöstliche Niedersachsen und das südliche Sachsen-Anhalt“, sagte Meteorologe Simon Trippler.
Mit fünf bis zehn Zentimetern Schnee, lokal auch bis zu 20 Zentimetern müsse im Laufe des Tages noch gerechnet werden. Der Wind halte auch weiterhin an mit Sturmböen von bis zu 70 Kilometern pro Stunde. „Das ist auf keinen Fall durchgestanden. Damit müssen wir bis heute Abend warten.“
Der Norden von Nordrhein-Westfalen, das südliche Niedersachsen, das nördliche Thüringen und Sachsen-Anhalt seien in den nächsten Stunden besonders betroffen. In der Nacht werde es im Norden Bayerns, im Süden Thüringens und in Südwest-Sachsen schneien. Die Meteorologen rechnen mit 10 bis 25 Zentimetern Neuschnee in zwölf Stunden.
Probleme, Rettungsaktionen und Absagen
Der heftige Wintereinbruch brachte die Räumdienste unter anderem in Nordrhein-Westfalen an ihre Grenzen. Die Polizei musste spiegelglatte Autobahnen sperren, es gab Hunderte Unfälle, bei der Bahn fielen Züge wegen vereister Oberleitungen aus. Busse standen vielerorts still. Autos blieben in tiefen Schneewehen stecken.
Das für den Abend geplante Spiel der Fußball-Bundesliga zwischen Arminia Bielefeld und Werder Bremen wurde abgesagt. Der Platz sei nicht bespielbar, hieß es von der Deutschen Fußball Liga. Auch die Zweitliga-Partie Paderborn gegen Heidenheim wurde nicht gespielt.
In Wuppertal befreiten Einsatzkräfte sechs Menschen aus einer Schwebebahn. Die Bahn konnte nach Angaben der Feuerwehr durch das eisige Wetter nicht mehr fahren und blieb stehen. Die Fahrgäste wurden mit Drehleitern aus luftiger Höhe befreit und blieben unverletzt.
In Hagen stürzte wegen der großen Schneemassen ein Zirkuszelt ein. Dreizehn Tiere wurden gerettet. Die sieben Pferde, zwei Kamele, zwei Ziegen sowie zwei Lamas, die sich in dem Zelt befanden, blieben laut Polizei unverletzt.
Der Lastwagenverkehr kam in Osthessen schon in der Nacht zum Sonntag zeitweise zum Erliegen. Mehr als 55 Sattelzüge konnten dort aufgrund der glatten Fahrbahn und ihres Gewichts die Steigungen nicht überwinden.
Einschränkungen im Bahnverkehr
Die Einschränkungen im Bahnverkehr waren teils massiv: Zwischen Hamburg und Nordrhein-Westfalen sowie zwischen Hamburg und Hannover etwa verkehrten keine Züge – zwischen Hamburg und Berlin komme es zu Einschränkungen, teilte die Deutsche Bahn auf ihrer Internetseite mit.
Ebenfalls nicht vom Fernverkehr angefahren werde die Region Leipzig/Halle. Der Fernverkehr zwischen Deutschland und den Niederlanden wurde eingestellt. In weiten Teilen Mitteldeutschlands gab es auch Probleme im Regionalverkehr.
In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen kam er nahezu komplett zum Erliegen. Die meisten Menschen hätten sich aber an die Empfehlung des Deutschen Wetterdienstes (DWD) gehalten und seien zuhause geblieben, hieß es von der Bahn.
Am Sonntagnachmittag erklärte die Bahn, die verschärfte Wetterlage verursache derzeit im Bahnknoten Erfurt weitere Einschränkungen im Fernverkehr. Es fuhren demnach keine Züge von Frankfurt/Main und Kassel in Richtung Osten. Auf der Verbindung Halle/Leipzig/Magdeburg komme es weiter zu Ausfällen der Fernverkehrslinien.
„In Niedersachsen, Bremen und insbesondere im Großraum Hannover gibt es keine Entspannung der Lage“, hieß es weiter. Für gestrandete Reisende stellte die Bahn sogenannte Aufenthaltszüge auf – zum Aufwärmen. Der Bahnverkehr wird auch am Montag deutlich eingeschränkt sein.
Man könne nicht garantieren, im Laufe des Montags den Bahnverkehr wieder zum Laufen zu bekommen, sagte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer nach einer Lagebesprechung am Sonntag bei Bild live. Der Wind mache „megamäßig“ Probleme, vor allem mit Schneeverwehungen. Betroffen seien auch die Autobahnen und die Bahn. Das heiße: in Absprache mit dem Arbeitgeber „lieber zu Hause bleiben“, so der Minister.
Verkehrsbehinderungen seit Samstag Abend
Der erste Eisregen fiel bereits am Samstagabend in Teilen Nordrhein-Westfalens und sorgte für spiegelglatte Straßen. Und in Niedersachsen gab es vereinzelt erste Schneeverwehungen. Heftige Schneefälle führten in Thüringen vielerorts zu Unfällen auf glatten Straßen.
Die erste Hälfte der Nacht zum Sonntag war für die Autobahnpolizeien in Niedersachsen trotz Schneefalls allerdings relativ ruhig verlaufen. Auf der A 30 stürzte am Morgen bei Schüttorf ein Lastwagen auf glatter Straße um, der Abschnitt wurde in Fahrtrichtung Osten gesperrt.
Während es etwa auf Sachsens Straßen noch relativ ruhig blieb, zählte die Polizei in NRW seit Samstagnachmittag 222 Unfälle aufgrund des Wetters, wie ein Sprecher der Landesleitstelle der Polizei am frühen Sonntagmorgen sagte. Dabei seien zwei Menschen schwer und 26 leicht verletzt worden. Der Sachschaden belaufe sich auf etwa eine Million Euro.
Die Bahn hatte ihre Schneeräumtrupps in Bereitschaft gesetzt, warnte aber trotzdem vor möglichen Zugausfällen. Vorsorglich wurden bereits von Samstag bis Sonntag alle Fernverkehrszüge zwischen Hamburg und Kiel, Hamburg und Lübeck sowie zwischen Hamburg und Westerland gestrichen. Auch der Regionalverkehr war betroffen.
Polarwirbel-Split
Ganz anders zeigte sich das Wetter am Samstag hingegen im Süden, wo die Menschen deutlich mildere Temperaturen erwarten. Der Grund: Während über der Mitte Deutschlands Kaltluft arktischen Ursprungs liegt, lenken Tiefdruckgebiete über Westeuropa laut DWD sehr milde Luft nach Bayern und Baden-Württemberg.
Ein DWD-Sprecher verwies dabei kürzlich auf den sogenannten Polarwirbel-Split. Normalerweise bewegt sich dieser Luftwirbel kreisförmig direkt über der Region des Nordpols – daher auch der Name.
Der Wirbel verstärkt sich regelmäßig im Winter, wenn kein Sonnenlicht die Atmosphäre dort erwärmen kann und diese sich zunehmend abkühlt, was zu einem Druckabfall in der Höhe führt. Kommt es zu einem ‚Ausbruch‘, teilt sich der Wirbel und kann sich verlagern. „So einen Ausbruch gibt es immer wieder mal – aber diesmal erwischt es uns voll“, sagte der Experte.
In Teilen Nordrhein-Westfalens, Niedersachsens und Sachsen-Anhalts galt am Samstag die Höchste Warnstufe des DWD. Am Alpenrand gab es Warnungen vor schweren Sturmböen, im Norden und der Mitte vor Sturm- und Windböen.
Im Vorfeld hatten Meteorologen von einem „denkwürdigen Ereignis mit Seltenheitswert“ – und Vergleiche zum Winter 1978/79 gezogen, als bei einer Schneekatastrophe in Norddeutschland das Verkehrs-, Versorgungs- und Kommunikationsnetz zusammenbrach.
Obdachlose schuztlos
Besonders schutzlos der Kälte ausgesetzt sind Menschen ohne festen Wohnsitz. In der eiskalten Winternacht haben Einsatzkräfte etwa in Nordrhein-Westfalen zahlreiche Obdachlose angesprochen und in warme Unterkünfte gebracht.
Bei ihren Streifengängen hätten die Kollegen besonders auf Menschen geachtet, die die Nacht trotz des heftigen Wintereinbruchs im Freien verbracht hätten, teilte die Polizei Hagen am Sonntagmorgen mit. Sie seien dann geweckt worden und hätten Hilfe angeboten bekommen.
Auch in Berlin wurde ein großes Obdachlosen-Camp geräumt, was allerdings auch auf Kritik stieß. Linke Gruppen hatten am Samstag zum Protest aufgerufen und gefordert, dass die ehemaligen Bewohner des Camps dorthin zurückkehren dürfen.
Die Kälte kommt
Tief ‚Tristan‘ über Mitteleuropa und dem zentralen Mittelmeer bringt im Zusammenspiel mit Hoch ‚Gisela‘ über Skandinavien weitere eisige Luft.
„Nach dem schnee- und windreichen Wochenende kommt nun aus Osten die große Kälte auf uns zu“, sagte Meteorologe Simon Trippler vom DWD am Sonntag. Mit Schnee muss weiter gerechnet werden, allerdings fällt dieser nicht mehr so intensiv wie am Wochenende.
Am Dienstag lassen die Schneefälle dann größtenteils nach, außer an der Küste. Für die Nächte sagen die Meteorologen klirrende Kälte vorher, häufig mit strengem Frost unter minus zehn Grad. Lokal seien insbesondere über Schneeflächen bis zu minus 20 Grad ‚gut möglich‘.
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