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Corona-Proteste im Hotspot Hildburghausen: „Das ist hirnrissig“

Im Corona-Hotspot-Landkreis Hildburghausen haben rund 400 Menschen gegen die neuen Corona-Regeln protestiert. Foto: Steffen Ittig/NEWS5/dpa
Im Corona-Hotspot-Landkreis Hildburghausen haben rund 400 Menschen gegen die neuen Corona-Regeln protestiert. Foto: Steffen Ittig/NEWS5/dpa

Der Landkreis Hildburghausen gilt als Deutschlands schwierigster Corona-Hotspot. Dennoch protestierten dort Hunderte gegen die Infektionsschutzregeln. Sie waren nicht einfach zur Rückkehr zu bewegen.

Im Corona-Hotspot-Landkreis Hildburghausen hat die Polizei mit Hilfe von Pfefferspray eine Kundgebung der Proteste gegen die neuen Infektionsschutzregelungen aufgelöst.

Am Tag nach dem bundesweit Aufsehen erregenden Corona-Protest ist in der Südthüringer Kreisstadt Hildburghausen wieder beschauliche Ruhe eingekehrt. Die kleine Fußgängerzone mit ihren geöffneten Geschäften wirkt wie ausgestorben.

Auf dem Wochenmarkt finden sich am Donnerstagvormittag nur vereinzelt Käufer mit Masken ein. Der zuvor abendliche „Spaziergang“ mehrerer hundert Menschen gegen den harten Lockdown im Kreisgebiet sorgt unter ihnen für Kopfschütteln: „Das ist hirnrissig, was die da machen“, kommentiert etwa ein jüngerer Passant, der seinen Namen nicht nennen will.

Rund 400 Menschen auf dem Marktplatz

„Die da“ – das sind etwa 400 Menschen, die am Mittwochabend trotz strenger Ausgangsbeschränkungen durch die Kleinstadt zogen. Während in der Region die Infektionszahlen durch die Decke schießen, marschieren Protestteilnehmer „Oh, wie ist das schön!“ singend durch die Straßen.

Nach Polizeiangaben gab es zahlreiche Verstöße: „So wurden Mindestabstände nicht gewahrt, Masken nicht getragen und die eigene Wohnung ohne triftigen Grund verlassen.“ Den etwa 30 Beamten gelang es demnach die Protestierenden zu zerstreuen.

Die Teilnehmer sprachen nach Angaben von Bürgermeister Tilo Kummer (Linke) von einem „Spaziergang“. „Ich bin fassungslos“, schrieb Kummer am Abend auf Facebook. „Der Markt in Hildburghausen ist voller Menschen! Etliche tragen keine Masken! Was muss denn noch passieren, bis manche den Ernst der Lage begreifen?“

Etliche Menschen im Kreis kämpften um ihr Leben. Ganze Kitas, Schulen, Rettungswachen, Feuerwehren hätten in den letzten zwei Wochen in Quarantäne gemusst. „Kann man da nicht mal zwei Wochen Abstand halten?“, so Kummer mit Blick auf die Corona-Proteste in Hildburghausen.

Auch Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) redet Klartext: „Wie unsolidarisch kann man eigentlich sein? Auf den Intensivstationen kämpfen Menschen um ihr Leben.“ In einer solchen Situation im deutschlandweit schlimmsten Hotspot jegliche Schutzmaßnahmen zu ignorieren, grenze schon an ein verbrecherisches Ausmaß von Egoismus.

Inzidenzwert von über 600

Menschen versammeln sich und protestieren gegen die neuen Infektionsschutzregeln im Corona-Hotspot-Landkreis Hildburghausen. Foto: Steffen Ittig/NEWS5/dpa
Menschen versammeln sich und protestieren gegen die neuen Infektionsschutzregeln im Corona-Hotspot-Landkreis Hildburghausen. Foto: Steffen Ittig/NEWS5/dpa

In Hildburghausen gab es laut Zahlen des Robert Koch-Instituts von Mittwoch 526,9 Infektionsfälle auf 100 000 Einwohner pro Woche – das ist das bundesweit stärkste Infektionsgeschehen. Am Donnerstag war die Zahl auf 602,9 angewachsen. Ab einem Wert von 50 gilt eine Region als Risikogebiet.

Zum Vergleich: Die Regierungschefs von Bund- und Ländern sehen bereits ab einer Schwelle von 200 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen eine extreme Infektionslage, bei der schärfere Regeln greifen sollen.

Um die Infektionswelle zu brechen, gelten seit Wochenmitte für die rund 63.000 Einwohner im Kreisgebiet von Hildburghausen drastische Beschränkungen: Sie dürfen bis zum 13. Dezember ihre Wohnungen nicht mehr ohne triftigen Grund verlassen, Schulen und Kindergärten wurden geschlossen.

Die harten Einschnitte stoßen nicht bei allen auf Verständnis. Laut Rathauschef Kummer kursierten bereits seit Tagen Protest-Aufrufe im Netz. „Die sind untereinander alle vernetzt, das ist dasselbe Strickmuster wie in Leipzig und Berlin – nur kleiner“, meint Landrat Thomas Müller (CDU) zu dem Protest, der während der Beratungen der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stattfand.

Das Pfefferspray wurde nach Polizeiangaben punktuell eingesetzt, um zu verhindern, dass die Protestierenden auf eine Bundesstraße im Ort ziehen. Mehrfache kommunikative Versuche, die Teilnehmer zum Verlassen der Demonstration zu bewegen, seien fehlgeschlagen, teilte die Polizei in der Nacht zum Donnerstag mit.

30 Teilnehmer der Corona-Proteste in Hildburghausen erhielten demnach eine Anzeige wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz. Verletzte und Festnahmen gab es den Angaben zufolge nicht. Die Versammlung habe gegen 19 Uhr begonnen, gegen 20.45 Uhr seien die Proteste beendet gewesen. Einen Initiator konnte die Polizei laut einer Sprecherin aber noch nicht ermitteln.

Ramelow mit Appell für Solidarität

Ein Hinweisschild zur Maskenpflicht auf dem Marktplatz von Hildburghausen. Foto: Bodo Schackow/dpa-Zentralbild/dpa
Ein Hinweisschild zur Maskenpflicht auf dem Marktplatz von Hildburghausen. Foto: Bodo Schackow/dpa-Zentralbild/dpa

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) appellierte an die Menschen im Landkreis Hildburghausen, sich angesichts der Situation rund um die Corona-Pandemie und der Bilder der Proteste an die neuen Infektionsschutzregeln zu halten.

Es gebe ein großes Bemühen, mit strengeren Maßnahmen „Leib und Leben von Menschen zu schützen“, sagte er am Mittwoch nach der Schalte der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Er habe aber Bilder gesehen, die zeigten, dass sich mehrere Hundert Menschen auf dem Marktplatz versammelt hätten. Diese Menschen, so Ramelow, hätten damit das Signal gegeben, dass sie das Infektionsgeschehen in ihrem Kreis nicht interessiere.

„Sie sind zwar in dem Landkreis, in dem die höchste Infektionsrate in ganz Deutschland ist, aber sie signalisieren, dass sie die Maßnahmen zur Unterbindung der Infektionen wohl eher ablehnen“, sagte Ramelow.

Ramelow appellierte an die Menschen in Hildburghausen, solidarisch zu sein und „sich gegenseitig zu helfen und sich zu unterstützen“. Gerade im Raum Südthüringen sei die Situation in den Intensivstationen der Krankenhäuser angespannt.

„Wenn man dann auch noch mit einer größeren Form von Missachtung und Leugnung glaubt, darauf reagieren zu können, erweist man seinen Mitbürgern einen Bärendienst“, sagte Ramelow.

© dpa-infocom, dpa:201126-99-468350/4
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Facebook-Post von Bürgermeister Tilo Kummer:

https://www.facebook.com/tilo.kummer/posts/2823401547929310?cft[0]=AZUPlOigbFOGrmo5w9smmjWqCnpsNJMmnjSWaX5AGNShcRjmSyELoJ8Ocejdm4cBMkurMguQGBEOAXml7TjBLKqnQMu70n-OeElmt_EwcfcmVbksftHqPtB0_vXaWF9dtMY&tn=%2CO%2CP-R



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